Klaus Kunze
- Publizierte Zeitungsartikel (Auswahl) -
 

Zeitgeschichte vor Gericht

Linke Juristen gegen Gesinnungsdis­kriminierung

Publikation: Junge Freiheit Oktober 1991

In die Diskussion um die Strafbarkeit von Äußerungen zu Art und Umfang der Ju­denver­folgung durch den Nationalsozia­lismus hat sich jetzt auch die linksste­hende Internationale Liga für Menschenr­echte e.V. in Berlin eingeschaltet. In einem fünfseitigen Artikel in einer juristi­schen Fachzeitschrift (Zeitschrift für Rechtspolitik 1991, Seite 24 ff.) wenden sich die Autoren Findeisen, Hoepner und Zünkler vehement gegen jede straf­rechtliche Verfolgung politischer Meinungsäußerun­gen am Beispiel des Satzes "Alle Soldaten sind potentielle Mörder". Der Straftatbestand der Belei­digung, § 185 StGB diene in zunehmen­dem Maße als Vehikel, politisch mißlie­bige Äußerungen zu kriminalisieren, die unter keinen anderen Straftatbestand fal­len.

Es gehört zu den tragenden Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit, nur den zu bestra­fen, der gegen ein klar definiertes Gesetz verstößt. Den § 185 StGB hält die Liga für Menschenrechte für verfassungswid­rig, weil heute, anders als viel­leicht noch vor 100 Jahren, kein Konsens über den Begriff der "Beleidigung" mehr bestehe.

Besonders kritisch wendet sich die Liga gegen die durch die Gerichtsbarkeit an­genommene Beleidigungsfähigkeit von Kollektiven. Durch nichtssagende, be­liebig ausfüllbare Leerfor­meln billigten der BGH und mehrere Oberlan­desgerichte jeder Personengemeinschaft Ehren­schutz zu, die eine rechtlich anerkannte soziale Funktion erfüllt und einen einheitlichen Willen bilden kann. Eine Kritik an Kol­lektiverschei­nungen wie "der Bundes­wehr" könne aber nicht als Ehrangriff auf einjedes Mitglied dieser Insti­tution gedeu­tet werden, weil es um ihre indivi­duelle Ehre nicht ginge. Vollends verfehlt sei die "Bestrafung von Neonazis die die mit dem Namen Auschwitz verbundenen Verbrechen leugnen und bagatellisieren". Ohne Ansehen der dahinterstehenden Gesinnung müsse Strafrecht immer Tat­strafrecht sein und dürfe sich nur auf freiheitsverletzende Verhaltensweisen bezie­hen. Die Befür­worter von gesetzli­chen Maßnah­men gegen Äußerungen wie der "Auschwitzlüge" liefen ebenso wie die Befürworter eines "verbesserten Ehren­schutzes für Soldaten der Bundeswehr" Gefahr die Strafjustiz als Selbst­be­dienungsladen zu benutzen, um eine ih­nen ­ aus nachvollziehbaren Gründen - besonders am Herzen liegende Gruppe mit den Mitteln des Strafrechts zu schüt­zen.

Demgegenüber hat das Landgericht Bonn erst jüngst in einem Strafverfahren gegen einen Historiker den hinreichenden Tat­verdacht für eine Beleidigung bejaht: Zur Last gelegt wird die Äußerung, es habe unter deutscher Herrschaft nie systemati­sche Vergasungen gegeben. Nach der Rechtsprechung des BGH gehöre es zu dem personalen Selbstverständnis der Juden, zu einer vom Schicksal herausge­hobenen Personengrup­pe zu gehören, der gegenüber eine besondere moralische Verantwortlichkeit bestehe. Das Leugnen der historischen Tatsache der Massen­vernichtung der deutschen Juden verletze dieses Selbstverständnis und diskrimi­niere damit jeden Angehörigen dieser Personengruppe.

Nach Meinung des Landgerichts Bonn liegt auch in dem Bestreiten der Systematik bzw. der Plan­mä­ßigkeit des Völkermordes bereits eine (als Belei­digung strafbare) Verharmlo­sung. Unter Beru­fung auf ein Urteil des Bundesverfassungsge­richts wird argu­mentiert, es sei eine historisch nicht bestreitbare und daher nicht beweisbe­dürf­tige Tatsache, daß der NS-Staat Ver­folgungs- und Vemichtungsmaßnahmen durchgeführt habe, denen Millionen jüdi­sche Mitbürger zum Opfer gefallen seien. Demgegenüber die Syste­matik des Vorge­hens in dem Sinne zu leugnen, daß dabei nicht "an verschiedenen Orten in glei­cher Weise aufgrund einheitlicher Anordnung" gehandelt worden sei, könne heißen, statt des Unrechts selbst die dabei verwendete Methode in den Vordergrund zu stellen und so das Aus­maß des Unrechts zu ver­harmlosen. Es liege auch ein hinreichen­der Tatverdacht für eine Beleidigung durch Leugnen der Massenvemich­tung vor. Der Anschuldigte habe nämlich "den Vorwurf mit den sechs Millionen Juden" als unzutreffend bezeichnet, wie dem Satz zu ent­nehmen sei: ".. Selbst wenn der Vorwurf mit den sechs Millio­nen Juden uns zu Recht träfe .."

Im Gegensatz zur bundesdeutschen Rechtsprechung gehen österreichische Gerichte neu­erdings dazu über, Anträgen von Angeklagten auf Einholung von Sachverständigengutachten nachzugehen. Was in der BRD noch historisch nicht bestreitbar und daher nicht beweisbedürf­tig ist, darf in Österreich überprüft wer­den. So beauftragte das Landesgericht Wien in einem noch laufenden Strafpro­zeß den Universitäts­professor Gerhard Jagschitz vom Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien mit einem Gutach­ten zur Frage der Menschenvemichtung und der Existenz von Gaskammem in Ausch­witz. Der Gutachter soll insbeson­dere die Frage von Menschenvemichtun­gen durch Gas und die Frage der Existenz von Gaskammern in Auschwitz behan­deln.

In einem Zwischenbericht führt Prof. Jag­schitz aus: "Es stellte sich im Laufe der Litera­turrecherchen heraus, daß nur eine relativ gerin­ge wissenschaftliche Literatur einer erheblich größeren Zahl von Erleb­nisberichten oder nicht wissen­schaftli­chen Zusammenfassungen ge­genüber­steht. Es wurden dabei zahlreiche Wi­dersprüche, Abschreibungen, Auslas­sungen und unvollständige Verwendung von Quellen festgestellt. Zudem sind durch einige Freisprü­che in einschlägigen Verfahren, durch Vorläge von Gutachten vor nationalen und internationa­len Ge­richten substantielle Zweifel an grundle­genden Fragen verstärkt worden, so daß die bloße Fortschreibung einschlägiger Gerichtsur­teile und der Hinweis auf die Gerichtsnotorik der Bekanntheit von Vernichtung von Juden durch Gas im Konzentrationslager Auschwitz nicht mehr ausreichen, Urteile in einem demo­krati­schen Rechtsempfinden darauf auf­zubauen.

In den letzten Jahren hat, sich nämlich der wissenschaftliche Zugang zur Thematik des Konzentrationslagers Auschwitz (und des ge­samten Komplexes der Massentö­tungen durch das nationalsozialistische Deutschland) erheb­lich gewandelt. Nun wird versucht, durch Quel­lenkritik und Anlegen eines wissenschaftlich-­kritischen Instrumentariums eine breitere Faktenbasis festzustellen. Das Gutachten fällt somit genau in die Periode der Umo­rientie­rung der Literatur und ist damit auf einer anderen Ebene als der Großteil der bisherigen Auseinan­dersetzungen mit diesem Thema anzusetzen. Während der bisherigen Arbeit hat sich des weiteren herausgestellt, daß Quellen aus be­stimm­ten Archiven nicht vollständig verwendet wurden und durch die politischen Ereig­nisse der letzten Jahre auch erstmals Bestände verwendet werden können, die bisher für die westliche Forschung ver­schlossen waren. "