Klaus Kunze
- Publizierte Zeitungsartikel (Auswahl) -
 

Rezension des Buchs „Carl Schmitt“ von Paul Noack

(Publikation:Junge Freiheit 12/1994)

 

Sekundär- und Tertiärliteratur über Carl Schmitt sollte erst lesen, wer die Werke von Carl Schmitt schon kennt. Je­de Zeile des Staatsrecht­lers lehrt mehr als zehn Zeilen über ihn. Sein Schicksal be­stand zeitweise im Gegen­teil: Ab 1936 und wieder ab 1945 wurde er von der je­weils herrschenden Ideologie als leibhaf­tiger Gottseibei­uns unter nicht zitierfähig abge­legt. Die Parallelen verblüffen: Eben­so wie NS-Ideologen um Rosenberg und die SS nicht unbedingt Schmitt gele­sen haben muß­ten, um ihn zu verwer­fen, ver­fahren auch heute wieder Voreinge­nom­mene. Paul Noack zitiert in der er­sten vorgeleg­ten Schmitt-Bio­graphie mehrfach NS-Brie­fe, in denen noch nicht einmal sein Name richtig ge­schrieben wurde, wie ei­ner vom 20.9.1934 an die Hoch­schul­kommissi­on der NSDAP: "Professor Schmidt", (S.198); an anderer Stelle schrieben sie "Karl Schmitt". Diese NS-Gegner hatten offen­kundig nie eines sei­ner Werke ge­lesen, ebenso­wenig wie 1993 ein Sachbearbeiter im In­nenmi­ni­steri­um NRW, der einer Partei vor dem Verwal­tungsgericht Düsseldorf vor­warf: Ihr Landes­vor­sitzender habe sich in einer Schrift auf Carl Schmitt berufen, und der habe "den nationalso­zialisti­schen An­griffskrieg ge­rechtfer­tigt".

 

Nicht alle Ideologen bekreuzigen sich schon rein instinktiv bei Nennung des Namens Carl Schmitt, manche können ih­re Ablehnung auch ra­tional begründen: Noack weist auf das Amt Ro­sen­berg hin, das schon 1935 klar erkannte, Schmitts "neutraler Begriff der Politik [...] wird zum Herrn ge­macht über die tragenden Werte der nationalsozialistischen Welt­an­schau­ung, in erster Linie über den Be­griff des Volkes" (S.206). Das traf den Kern, den trotz aller zeitweili­gen NS-Rhetorik unüber­brückbaren Gegensatz zwischen dem Etatisten Schmitt und den Na­tional­soziali­sten, die zur Er­rich­tung eines Füh­rerstaates auf rassi­scher Grundlage eine Weltan­schauung brauchten und keine verfas­sungsjuri­sti­sche Recht­fertigung. Wo Verfas­sungs­recht sich auf den Satz redu­ziert, der Führer sei nunmehr die einzige Rechts­quelle, hört mit dem Ver­fas­sungs­recht je­des Recht überhaupt auf. Carl Schmitt wollte das 1933 nicht glau­ben, und sein Versuch, den Tiger der Willkür­partei zu reiten und ihm verfas­sungs­rechtliche Zü­gel anzule­gen, war der Kardinal­irr­tum seines Lebens. 1933 glaubte er irrig im NS eine realisierte Variante dessen zu se­hen, was er ange­strebt hatte, nämlich ei­nen hand­lungsfä­higen Staat, der noch nicht einmal mit un­demokra­ti­schen Mit­teln zustande ge­kom­men war (S.181).

 

Er sei zwar kein Positivist, erklärte er später, aber es gebe schließlich kein an­deres als posi­tives Recht. "Mit dem Er­mächtigungsge­setz vom 24.3.1933 be­gann für mich als positiven Ju­risten eine völlig neue Situation" (S.169). Nachdem seine eigene Konzeption politischer Ord­nung nur auf die Her­stel­lung von Einheit durch souveräne Macht und eine ex ne­gativo begrün­dete Homo­genität zielte, konnte er nichts gegen ein Regime vor­bringen, das mit großem Erfolg daran ging, politische Einheit auf eben diese Weise herzustel­len (S.210 nach Bal­lestrem). Da jedes Recht aus der "jeweils herr­schenden Anschauungen eines Vol­kes" (S.193) folgt, glaubte er gewisser­ma­ßen die Geburt eines neuen Rechts aus der Macht zu erleben und ihre Recht­fer­ti­gung durch einen ge­schichtlichen Sprung (S.213). Die Nationalsozia­li­sten hatten dagegen schnell und richtig be­merkt, daß all ihre Weltan­schauung zwar unter den Prämissen von Schmitts neu­tra­lem Poli­tikbegriff zur Grundlage einer Ver­fas­sungsordnung gemacht werden konnte. Sie wollten aber überhaupt kein binden­des Verfas­sungs­recht, sondern den Primat ih­rer Ideologie, und kreideten ihm an, daß ihre ideologischen Grundla­gen selbst keineswegs aus Schmitts Poli­tikbegriff folgten, eben weil dieser neu­tral ist. Wie Schmitts Re­zeptionsge­schichte zeigt, tau­gen die von ihm erar­beiteten Grundlagen für jede neue Lage und für jede Ideologie und Bestrebung: Joa­chim Schickel, da­mals Maoist, be­scheinigte dem über 80jährigen, die­ser sei "der einzig erreich­bare Autor, der sich kompetent zum Thema des Parti­sa­nen geäußert" ha­be (S.293).

 

 Der Machtergreifung Hitlers hatte Schmitt sich durch Arbeiten für dessen Gegner und in ei­ner Reihe von Schrif­ten bis zuletzt mit Argumen­ten vehe­ment wi­dersetzt, die heute zu den Pfeilern des Grundgesetzes (z.B. Art.79 III) zählen: Die Weimarer Ver­fassung könne ja wohl nicht legal ihre ei­gene Abschaffung er­lauben. Als de­mokrati­sche Reichstagsab­geordnete ge­meinsam mit ihren Geg­nern gleich­wohl das Ermächtigungsgesetz ver­ab­schiedeten, war Schmitts Absturz in exi­stentielle Enttäuschung darüber und seine Desil­lusionierung über die Schw­ä­che des par­lamentari­schen Sy­stems zu­mindest ein Grund für sein zeitweili­ges Um­schwenken zum Natio­nalsozialis­mus (S.155). Resignativ-doppelbödig be­gann er seinen be­rühmt-berüchtigten Ar­tikel Der Füh­rer schützt das Recht in der Deutschen Juristen-Zei­tung mit einer Anklage der in­neren Widersprüche des Weima­rer Systems, das sich in dieser neutra­len Legalität selbst zer­störte und sei­nen eigenen Feinden auslie­ferte. Wäh­rend er sich selbst bis zu seinem Tode für unschuldig an der von ihm bis zu­letzt be­kämpf­ten Machtergreifung hielt, galt sein Zorn den nach dem Kriege wieder in ho­he Regierungsäm­ter ge­langten Weima­rer Par­lamen­tari­ern, die Hitler an die Macht gebracht hatten.

 

Schmitt sah seinen verzweifelten Ver­sucht als Verfassungsrechtler im Vorder­grund, der NS-Will­kür Me­thode zu ge­ben, sprich: sie juristisch zu do­mestizie­ren. Dagegen galt er jetzt denen als Sün­denbock, die das Er­mächtigungs­gesetz verab­schiedet und sich damit, wenn über­haupt jemand, schuldig ge­macht hatten; ein Gesetz, das Schmitt als Verfassungs­rechtler nur als Quelle der legalen Macht Hit­lers werten konnte (S.271). Bitter be­merkte Schmitt 1949 über sie: "Es gibt nicht nur Men­schen­rechte, sondern auch Eselsrechte. Ein Grundrecht je­den Esels ist zum Beispiel das Recht auf einen toten Löwen, dem er nach Herzenslust Fußtritte versetzen kann." Nach Erscheinen der er­sten Schmitt-Biographie aus der Feder des Li­bera­len Noack wird das Fußtreten schwie­riger werden, je­denfalls für dieje­nigen Treter, die im seriösen Wis­sen­schafts­betrieb weiter mitreden wollen.

 

Der Wert der Arbeit liegt im bio­gra­phi­schen Detail, ohne das die Ab­gründe der kryptischen Per­sönlichkeit (S.268) Schmitts und die trotz aller be­grifflichen Prägnanz oszillierende Viel­deutig­keit seines Werks nicht ver­standen werden könne­n. Gerade die unveröffentlichten De­tails des zeit­le­bens sorgsam abge­schirmten privaten Schmitt bieten in ih­rer widersprüchli­chen Fülle ein Mosa­ik­ge­mälde der Vita eines komplexen Charak­ters in seiner vollen Widersprüch­lichkeit: Da steht der reine Wis­senschaft­ler und Klassiker der Geistes­geschichte Schmitt, als der er sich selbst sah und als der er zunehmend international bewertet wird, neben einem ganz ande­ren, inoffi­ziellen Carl: Die­ser suchte, intellektuell eitel bis zur Überheblich­keit, die öffentli­che Re­putation und litt nach dem Kriege an nichts mehr als an der zunächst völli­gen Ausgren­zung und geistigen Quaran­täne, unter die man ihn als angeblichen Kron­juristen des Dritten Reiches gestellt hatte. Bis zuletzt hatte er die Weimarer Re­pu­blik gegen Machtergreifungen von rechts und links verteidigt, so daß Spötter ab­fäl­lig behaupteten: Kronjurist unter von Pa­pen, Kronjurist unter Hitler - Hauptsache Kronjurist. Noch 1966 hat sich der da­malige Kanzler Kiesin­ger nach Pletten­berg fahren lassen, um sich - wie es hieß - über Machiavelli zu unter­hal­ten (S.286). Nicht nur das Gros der deutschen Verfas­sungs­lehrer hat, spricht man sie pri­vatis­sime an, heim­lich Carl Schmitt unter dem Kopfkissen.

 

Paul Noack, Carl Schmitt, Eine Bio­gra­phie, Propyläen-Verlag, Frankfurt, 1993, ISBN 3-549-05260-X