Klaus Kunze
- Publizierte Zeitungsartikel (Auswahl) -
 

Verfassungsschutz ist nicht gleich Schutz der Verfassung

[Publikation des Aufsatzes in:
Hans-Helmuth Knütter, Stefan Winckler (Herausgeber), Der Verfassungsschutz, München 2000, ISBN 3-8004-1407-4.) ]

 

Die Partei­politik färbt das Bild der zu schüt­zenden Verfassung

Während das benachbarte Ausland Demokratie gelassen praktiziert, zelebrieren wir sie feiertags, unterwerfen sie aber alltags e


Während das benachbarte Ausland De­mo­kratie gelassen prak­tiziert, zelebrieren wir sie feier­tags, unterwerfen sie aber alltags einem Deutschland eigentümlichen, büro­kratischen Kontrollap­parat namens "Verfas­sungsschutz (VS). Dieser deutsche Son­derweg hatte in den 1950er Jahren den Zweck, kom­munistische Subversanten aus der DDR oder fossile Altna­zis zu erkennen und an einer Machtergreifung zu hindern. Die Demo­kratie darf sich nicht selbst abschaffen, so die Lehre von 1933. Um sie verteidigen zu können, war der Parlamentarische Rat einem Rat Carl Schmitts gefolgt und hat sie wehrhaft ausgestaltet: "Wenn eine Ver­fas­sung die Möglichkeit von Ver­fas­sungs­re­vi­sio­nen vor­sieht, so will sie damit nicht etwa eine legale Methode zur Be­seitigung ihrer eigenen Legalität, noch viel weniger das legi­ti­me Mittel zur Zerstörung ihrer Legitimität lie­fern,"[1] schrieb Schmitt 1932 gegen die NSdAP, die in den Reichstag schon mit der offenen Absicht dräng­te, das Weima­rer System ab­zu­schaf­fen. Mit Hinweis auf "grund­­le­gende Prinzipien" eines "un­ver­­än­der­lichen Ver­fas­sungs­sy­stems" be­fürwortete Schmitt Auf­lösung und Verbot von Grup­pierungen wie der SA durch den Reichs­präsidenten als Hüter der Verfas­sung. Die damaligen Macht­verhältnisse erlaubten keinen wirksa­men Verfas­sungs­schutz.

 

Die heutigen machen ihn überflüssig: Die freiheitliche Demo­kratie ist in ihren Grundprinzipien allgemein anerkannt. Struk­turelle Veränderungen erlebt Deutschland heute takt­gleich mit seinen Nachbarländern als unvermeidliche Anpas­sungspro­zesse an die Rahmenbedingungen einer teils schon postindu­striellen Massengesellschaft in globaler Konkurrenz. Wer ein grund­sätzlich anderes System erfolgreich installieren wollte, müßte mit der Demokratie zugleich diese Grund- und Rahmen­bedin­gungen verändern, auf denen sie beruht. Sie optimiert die funk­tio­nalen Erfordernisse der Massen­gesell­schaft, kann wäh­rend ihres Bestehens keine nachhaltig er­folgreiche Konkurrenz ha­ben und bedarf darum nicht mehr des be­hördlichen Schutzes.

 

Tatsächlich drohen der Verfassung heute Gefahren ausgerech­net von ihrem parteipolitisch mißbrauchten Beschützer. Am 15.11.1993 hieß es im SPIEGEL: "Spinnennetzartig hat sich der Verfassungsschutz ausgebreitet, seit die alliierten Mili­tärgou­verneure die Bundesrepublik 1949 ermächtigten, einen Inlands­ge­heimdienst aufzubauen.... Kaum ein Abgeordneter der Bon­ner Altparteien wagt es, den Dienst in Frage zu stellen." Gleich zwei­fach wäre diese Presseansicht als extremistisch zu bewer­ten, wenn man die etwa gegen die REPUBLIKANER ver­wandte verfas­sungsschützerischen Logik anwendet: Wer "Alt­par­teien" sagt, möchte ihr zufolge ebenso "die Legitimitität der Wiederbegrün­dung der Demokratie auf deutschem Boden nach 1945 angrei­fen", wie wer rückblickend auf alliierte Ein­flüsse verweist.[2] Weil aber der SPIEGEL nicht als "extremistisch" gilt, mag er das schreiben, wohingegen solche Formulierungen den REP in VS-Berichten als Beweis ange­kreidet werden: Sie kön­nen das­selbe nur verfassungs­feindlich meinen, weil sie Ver­fas­sungs­feinde sind; und daß sie es sind, erweisen wieder ihre - im Lichte des Vorverdachts - nur verfas­sungsfeindlich versteh­ba­ren Meinun­gen. - Daß REP heimliche ver­fas­sungs­feindliche Ziele haben, zeigt nach Meinung des VS schon ihr Programm. In ihm steht zwar nichts Ver­fassungs­feindliches,[3] womit aber nur bewiesen sein kann, wie heim­tüc­kisch sie ihre "wahren Absichten" verbergen. -

 

Derartige argumentative Winkelzüge unserer Verfassungs­schüt­zer bewegen sich entlang einer Grenzlinie, jenseits deren der wis­senschaftliche Ernst endet und die Groteske beginnt: Man glaubt sie nur, wenn man sie selbst gelesen hat. Reizworte wie Alt­parteien, Umerziehung oder Vaterland lösen beim VS Paw­low'sche Reflexe aus: Wer solche Unwörter benutzt, macht sich ver­dächtig. - Jede wis­sen­schaftliche Analyse erfordert eine empirische Tatsa­chenba­sis, die ernsthaft analysiert werden kann - oder aber glossiert wer­den muß. Beides, Analyse des VS oder Glosse, müs­sen un­glaubhaft jedem bleiben, der noch nie schwarz auf weiß las, was der VS für ver­fas­sungs­feindlich hält. In einem Au­genblick spontaner Offenherzigkeit gab Prof. Mi­chael Sachs - 1998 NRW-Ver­treter in der Ver­­handlung vor dem BVerwG - zu: "VS-Berichte haben auf Per­sonen, die auf so etwas an­sprechbar sind, noch eine gewisse Wirkung." De­zenter kann man seine Di­stanz vor den Er­zeug­nissen des ei­ge­nen Auftraggebers kaum aus­drücken. Das VS-Sammel­surium an Scheinargumenten ist hier in Kürze nur an­hand typischer Beispiele darstellbar.[4]

 

Der Mißbrauch des VS behindert die Wil­lensbildung des Vol­kes von unten nach oben massiv und wider­spricht damit dem De­mo­kratie­prinzip. Der poli­ti­sche Wil­lensbil­dungs­prozeß müßte sich vom Volk hin zu den Staatsorga­nen vollzie­hen und nicht umge­kehrt.[5] Den Staats­or­ga­nen ist je­de Ein­fluß­nahme auf den Volks­willen ver­wehrt. De­mokratie wird als offe­ner, dyna­mischer und plurali­stischer Prozeß betrachtet. Er verträgt sich nicht mit der büro­kratischen Ambition, ihn staatlich zu len­ken. Amtliche Autorität wird mißbraucht, wenn etwa "Sekten­beauf­tragte" oder Verfassungsschützer scheinbar objektiv "war­nen". "Sekten seien, heißt es, fundamentalistisch, doch macht der Vorgang eine neue Tendenz zu staatlicher Welt­an­schau­ungs­kontrolle deutlich. - Der Eifer un­­serer Gesinnungs-, Welt­an­schau­ungs- und und Sektenbeauftragten, un­­serer Groß- und Klein­in­qui­si­to­ren und Wächter über 'political cor­rec­t­ness' ist zu einer ernsten Be­dro­hung unserer Freiheit ge­wor­den."[6]

 

Unmittelbar politisch wird der VS eingesetzt, wenn er gegen Parteien eingesetzt wird. Wenn etwa in Mainzer Amtsstuben ein Heftlein des VS über "Rechtsextremistische Parteien" aus­liegt[7] und doppel­seitig über die REP berichtet, erweckt es den Anschein amtli­cher Objek­tivität und Neutralität. In einem all­gemeinen Vor­wort setzt es Extremisten mit Verfassungsfeinden gleich und und zählt an­gebliche Merkmale von Rechtsextremi­sten auf. Daß die REP solche Merkmale aufweisen, wird nicht ausdrücklich be­hauptet, und trotzdem werden sie dazugezählt. Ähnlich ergiebig wäre ein spiegelbildliches Heftchen über "Linksextremisten" mit ei­ner allgemeinen Schilderung des Marxismus und Un­ter­ka­pi­teln über die KPD, die SED, Maoi­sten und: die SPD. Indem letztere aber in Mainz regiert, wäh­rend die REP Opposition be­treiben, ist der VS einem SPD- und nicht ei­nem REP-Mi­nister nachge­ordnet - und der mißbraucht den VS für seine Partei­zwecke in amtlichem Gewand, indem er die REP willkür­lich in dieselbe Schublade steckt wie Neonazis.

 

Der Mißbrauch beginnt bereits mit der ostentativen Ver­kün­dung der "nachrichtendienstliche Beob­ach­tung": Auf die öf­fentliche Einschätzung einer Partei wirkt sie wie ein Zeitungs­bericht über die Hausdurchsuchung bei einem Nachbarn auf Kinderpornos: Die später erwiesene Unschuld rettet den Ruf nicht mehr. Diese Wirkung ist beabsichtigt. Nicht auf ausge­spähte Geheimnisse kommt es an, denn deren wurde seit Beob­achtungsbeginn nicht eines zutagegefördert. Geheime Ziele kann eine Partei unter den Spielregeln der Massenmedien-De­mokratie ohnehin nicht erfolgreich verfolgen: Ohne öffentliche Selbstdarstellung kann keine Partei zur Mehrheit werden. Dabei wird sie für das ge­hal­ten und gewählt, das sie darstellt, und nicht für das, was sie ist. Mitglieder und Wähler strömen dem in den Medien dominanten Bild einer Partei zu (oder nicht), während papierene Programme oder Hinter­zimme­r­ab­sichten nichts be­wegen. Darum ist die Beobachtung angebli­cher ge­heimer Hin­tergedanken der Führungszirkel einer Partei sinnlos: Selbst wenn ihre Oberen Hintergedanken hätten: In­dem diese heimlich bleiben, sind sie wirkungslos. Rele­vant ist nur, was öf­fentlich ist.

 

Darum ist eine Opposition seitens der Regierungspartei am ein­fach­sten zu bekämpfen, indem ihr das Stigma des Extremis­mus aufgedrückt wird. Nachdem die Etablierten und ihre Freunde in den Medien das Zerrbild neona­zisti­scher REP vermittelten[8], blieben An­hänger aus, die dem demo­kratischen Selbstbild der Partei ent­sprachen, und mußte sie sich gegen Trittbrett­fahrer ab­grenzen, die ih­rem Zerrbild zuströmten. Den Kampf um Selbst­bestim­mung ihrer Identität konnten die REP bis­lang nicht gewin­nen. Aus dem demokratischen Mitglieder- und Wähler­po­tential schöpfen sie nur tröpfchenweise, weil sie ihrer ei­ge­nen Klien­tel als ex­trem gelten. Das Bestimmungsrecht des ei­genen poli­tischen Stand­ort und des mit ihm verbundenen so­zialen Gel­tungsanspruch steht auch einer Partei zu,[9] wird aber etwa den REP "amtlich" genommen.

 

Den qualifizierten Funktionärsstamm und die Selbst­bestim­mung ihres politischen Stand­orts können Konkurrenz­parteien einer Partei entwinden, wenn sie über den VS verfügen und ihn miß­brauchen. Beamte stellen in Parteien, etwa die Lehrer in der SPD, das personelle Rückgrat. In den vergangenen zehn Jahren ver­ließen hunderte Beamte die Republikaner wie­der, nachdem sie von ihrem Dienstherrn Brie­fe mit der offenen Drohung eines Disziplinarverfahrens für den Fall erhalten hat­ten, daß sie nicht austreten: Der Dienstherr "stufe die Republika­ner als recht­sex­tremistisch ein". Weil Beamte je­derzeit aktiv für die freiheit­li­che demokrati­sche Grundordnung (FdGO) eintre­ten müssen, setze sich dem Verdacht eines Dienstvergehens aus, wer ihre Ziele fördere. Es ist aber kein Fall bekannt, in dem allein die Parteizugehörigkeit bei den Re­publikanern zu einer Entfernung aus dem Dienst ge­führt hätte. Wo Beamte in seltenen Fällen so viel Mut bewiesen, die Partei nicht zu verlassen, scheiterte ihre dienstrechtliche Verfolgung vor den Verwal­tungsgerichten.[10]

 

Andererseits erleiden etwa Offi­ziere durchaus Nachteile, wenn ihnen etwa we­gen ih­rer REP-Mitgliedschaft die Sicher­heits­stu­fe aberkannt wird,[11] ihnen ein Charakter­mangel vor­geworfen[12] oder sie als dienstlich un­geeig­net ange­se­hen und nicht befördert werden.[13] So ist die Strategie der SPD- und CDU-In­nenminister aufgegangen: Der Mitglie­der­stamm an Beamten brach den Re­publikanern weg mit der Folge eines per­sonellen Qualitätsver­lu­stes. Aber nicht nur Beamte werden durch die Qualifizie­rung als "extremistisch" im VS-Bericht   "belastet, läßt sich doch im de­mo­kratischen Verfassungsstaat - abgesehen von schweren Strafta­ten - kaum ein Vorwurf denken, der schwerer wöge als derje­nige , daß jemand darauf ausgehe, die Fundamente der freiheit­lichen Verfassung zu beseitigen."[14] Je stärker Vater­landsliebe abgelehnt und Verfassungs­patriotis­mus gefordert wird, desto mehr verschiebt sich das Ansehen des an­geblichen Abweichlers vom noch harmlosen "Radikalen" der späten 60er über den "Extremisten" bzw. Verfassungsfeind zum Staatsfeind oder ideologischen Hochverräter.

 

Seinem gesetzlichen Auftrag zufolge sichert der VS die wehr­hafte Demo­kratie als "Auge der Politik" ab: Ausge­wogen beob­achtet er ringsum, spürt die Verfassungs­feinde in ihren verbor­genen Winkeln auf, durchschaut ihre hintergründi­gen, gehei­men Pläne und meldet sie den demo­kratisch gewähl­ten Politi­kern. Diese entscheiden, ob sie sich noch partei-poli­tisch damit aus­einan­dersetzen, oder ob die Gefahr für die De­mokratie nur durch staatliches Verbot abgewendet werden kann. Dieses spricht bei Parteien das BVerfG, bei sonsti­gen Gruppie­rungen der Innen­minister aus. So wurden Anfang der 50er Jahre KPD[15] und SRP[16] als Parteien und in den letzten Jahren eine Reihe neo-na­tionalsozialistischer Gruppen als sonstige Vereini­gungen verbo­ten.[17] Tatsächliche Feinde der Demokratie pflegen ihr Verbot gelas­sen zu nehmen. Auf wechselseitiger Feind­schaft beruht schließlich ihre Ideologie, und ein Verbot bestä­tigt scheinbar eindrucksvoll diese Feindschaft: Man fühlt sich we­nigstens ernst genommen. Ebenso sehen es von ihrer Warte die Demo­kraten: Auch ihr Konzept beruht auf der schon von Ver­fas­sungs wegen anerkannten Antagonie von Freund und Feind: hier die wehrhafte Demokratie - dort ihre Feinde. Nie­mand stellt in Frage, daß auf der einen Seite der geistigen Bar­rikade die De­mokraten kämpfen und auf der anderen ihre ver­schiede­nen Feinde. Dieses wohlgeordnete Schema stören nur, die kei­nen unangefochtenen Platz auf der gewünschten Seite fanden. Von der Ideologiekontrolle der einen wie der an­deren Seite verwor­fen, schwanken sie zwischen enttäuschter Zunei­gung zur einen und der extremen Übersteigerung ihrer Werte auf der an­de­ren Seite hin und her. In dieser Lage befan­den sich die Grü­nen, be­vor sie zur etablierten Parlamentspartei wurden, und in ihr be­finden sich seit zehn Jahren die Republi­kaner.

 

Ihrem Selbstverständnis nach wollen sie nicht das System ver­ändern, sondern innerhalb des Verfassungsbogens den von der CDU geräumten rechten Flügel besetzen. Doch damit verstie­ßen sie gegen die oberste Räson der Union zu ihrer Machterhal­tung: Es darf rechts von ihr keine demokratische Partei geben! Die REP mußten daher zu Extremisten gestempelt werden. In einer Studie aus dem Kon­rad-Ade­nauer-Hau­s von April 1989 taucht bereits der Satz auf: "Daher scheinen mir die nach­ste­­­hen­den Methoden der Stig­matisierung der REP erfolgreicher zu sein."[18] Um das Stigma quasi amtlich zu machen, wiesen die Landesinnenmini­ster ihre VS-Ämter im Dezember 1992 an, die Partei künftig mit nach­rich­tendienstlichen Mitteln auf Ver­fas­sungsfeindliches zu beobachten.

 

Dagegen half den REP keine öffentliche demokratische Kon­troverse, weil die Mikrophone der ARD für sie ausgeschaltet blieben. Man sprach über sie, aber nicht mit ihnen. So blieb der Weg zu den Verwaltungsgerichten als Notbehelf, doch gibt es keine "positive Feststellungsklage", mit der eine Partei auf An­erkennung ihrer Verfassungstreue klagen könnte. Die politi­sche Auseinandersetzung wird seither auf Nebenschauplätzen mit justizförmigen Mit­teln der Verfassungs­interpre­tation aus­ge­tra­gen. - Im Kampf um die richtige Interpretation rechtspoliti­scher Begriffe siegt aber, wer die Entscheidungs­kompetenz über ver­schie­dene Aus­legungsmöglichkeiten be­sitzt. Es ist ein offenes Ge­heimnis, daß die letzte Interpretation so allgemeiner Begrif­fe wie Ge­rechtigkeit oder Freiheit Glaubens­sache und die Ent­schei­dungsmacht über sie zur Frage des Par­teien­proporzes im BVerfG geworden ist. Vor einfachen Ver­waltungsgerichten sind die Prozeßergebnisse hingegen so vor­hersehbar wie Lotto­zahlen.

 

So sind die Waffen ungleich verteilt, wenn eine große Bundes­tagspartei um ihre Macht fürchtet: Sie regiert Länder oder gar den Bund und ver­fügt damit über die Schaltstellen des Staats­apparates: In­nenmi­nisterien, VS und - darauf kommt es auf dem Felde der Rechts­auseinandersetzung an: die Rich­terstellen. "Es wird von keinem Sachkenner bezwei­felt, daß in Deutsch­land weit mehr als in anderen westlichen De­mokratien Beam­ten­schaft, aber auch Gerichte, mit Per­so­nen, die aufgrund ihrer Par­tei­zu­gehörigkeit er­nannt oder befördert wurden, durch­setzt sind." Daß in zu­nehmendem Umfang in wichtige Stellen nur Parteiangehörige be­rufen werden, gilt nach ver­breiteter Auffas­sung auch bei her­vorgehobenen Rich­terpositio­nen.[19] Und wem die "Deu­tung der Ora­kel der Gerechtig­keit an­ver­traut ist", durch­schaute schon Pufendorf 1667, wird er­fah­rungs­ge­mäß "die­se Göttin be­we­gen können, nichts zu antwor­ten, was wi­der den ei­ge­nen Vorteil ist."[20]

Der "eigene" Vorteil: Das ist nicht immer ein direkter persönlicher Vor­teil eines Richters. Teilt aber generationsbedingt ein wesentli­cher Teil der Richterschaft die ideologische Grundposition seiner Regierungspartei, urtei­len also etwa Alt-68er Richter darüber, ob ein SPD-Verfas­sungs­schutz ideologisch korrekt handelt oder eine kleine, rechte Par­tei, sind die Weichen gestellt. Hinzu kommt ein guter In­stinkt der meisten Richter für karrierefördernde Urteile. Ein Mainzer Verwaltungsrichter erklärte mir telefonisch unumwun­den, ich könne mir doch vorstellen, was ein Urteil gegen den VS für politische und öffentliche Folgen hätte, und glaubte wohl nicht ernsthaft daran. "Seien Sie nicht unpoli­tisch," er­teil­te "aus ei­ge­ner Erfah­rung" ein Richter am BGH "einen freund­lich-wohl­wollenden Rat­schlag", son­dern passen Sie sich dem Zeit­geist, das heißt dem Geist der Herren unserer Zeit, an; ... Nehmen Sie sich ein Beispiel an ...erg.: Roman Herzog . Er hat nicht nur ein fei­nes Emp­finden, woher der po­liti­sche Wind weht, sondern weiß auch, wer ihn macht. Der Gleichheitssatz gebie­tet keine Gleich­be­hand­lung al­ler gesell­schaftlichen Grup­pen. Eine geläuterte Rechts­auf­fassung er­kennt klare Unter­schiede, aus denen sachliche Dif­fe­ren­zie­rungs­grün­de für eine Un­gleichbe­handlung herzu­leiten sind. Ist es etwa kein re­le­van­ter Differen­zierungsgrund, wenn man das Wäh­ler­po­tential im Au­ge hat? ... Im übrigen: Sie rücken in die Nähe eines Ver­fas­sungs­fein­des, wenn Sie Zwei­fel an den Dif­fe­ren­zie­rungen un­serer obersten Rechts­verwal­ter vom Schloßplatz bei der An­wen­dung des Gleich­heits­satzes äu­ßern. Alle Bürger sind gleich, aber einige sind glei­cher als die ande­ren. Wissen Sie nicht, daß Not kein Gebot kennt und wo ge­hobelt wird, Späne fallen?" [21]

 

So öffnet die verwaltungsrichterliche Rechtsprechung der po­li­ti­schen Opportunität Tür und Tor. Obwohl sie partei­po­li­ti­schen Mißbrauch des VS verhindern sollte, bewegt sie sich zuweilen hart am Rande der Rechtsbeugung. Paradigmatisch für das Zu­sammenspiel von VS-Behörden und Gerichten sind die zahl­rei­chen Prozesse der Republikaner gegen ihre Beob­achtung seit 1989.[22] Die VS-Gesetze der Länder erlauben den Einsatz von V-Leuten und Anwendung anderer nach­rich­ten­dienstlicher Mittel, wenn Anhaltspunkte den Ver­dacht einer Bestrebung be­gründen, der sich gegen die FdGO richtet. Wäh­rend über die Verfassungsmäßigkeit einer Partei gem. Art. 21 II GG nur das BVerfG entscheiden kann, standen Verwaltungsrichter vor der heiklen Aufgabe zu entscheiden, ob einzelne Anhaltspunkte ei­nen "Verdacht" sol­cher Bestrebungen begründeten. Richter, de­ren Aufgaben ge­wöhnlich in der Überprüfung von Asyl­anträgen oder Bauge­nehmigungen liegt, sollten etwa ent­schei­den: Be­gründet der Rat in einem Parteirundschreiben, man solle ein­mal Bücher des Prof. Carl Schmitt lesen, den Verdacht ver­fas­sungs­feindli­cher Bestrebungen?[23]

 

Dieser Vorwurf des VS gegen die Republikaner wurde still­schweigend fallengelassen nach dem Hinweis, daß Schmitt als geistiger Urheber der "Ewigkeitsklausel" in Art.79 III GG gilt. Seither hat sich in den VS-Berichten und in der Begründung der Be­obachtungspraxis ein fester Kanon an Vor­würfen gebildet: Re­publikaner verunglimpfen Institutionen des demokratischen Rechts­staats und diffamieren demokra­tisch ge­wählte Politiker, indem sie die hinter ihnen stehenden Partei­en "Altparteien" nen­nen. - Republikaner trach­ten die Demok­ratie zu delegi­timieren, indem sie angeblich einen Zu­sammen­hang zwischen der Umerziehung durch die Alliierten nach 1945 und der Legitimität der Demokratie herstellen. - Republikaner zwei­feln Grundnormen der Verfas­sung an, denn sie "leugnen die deutsche Ge­schichte", indem sich ge­gen "monokausale Deu­tun­gen der Kriegsschuld" und "Geschichts­fälschungen" wen­den. - Sie sind nationalistisch-kollektivisti­sch, was man daran erkennt, daß sie das Volk als "Schicksals- und Sprachgemein­schaft" be­zeichnen. - Vor allem aber beanstanden Verfassungs­schüt­zer und Gerichte gele­gentlich drastische kriti­sche bis zu ge­schmacklosen Äußerun­gen über Ausländer wie etwa, es müsse sich "bis in den letzten Negerkral her­umspre­chen, daß wir die hier nicht haben wollen."

 

Die Vorwürfe der "Geschichtsleugnung" oder etwa der es Kol­lek­tivismus gegen jemanden, bloß weil er "Vaterland" sagt, wur­den in zu­nehmendem Maße von Verwaltungsgerichten als nicht stich­haltig verworfen. Auch als Verfassungsfeind den an­zuse­hen, der "Altparteien" sagt, erschien 1998 den Verwal­tungs­ge­rich­ten Mainz[24] und Berlin[25] zu simpel. Sie erklärten die nach­rich­ten­dienst­liche Beobach­tung für rechtswidrig. Als "aus­län­derfeindlich" an­ge­se­hene Äu­ßerungen hingegen kristallisier­ten sich als Hauptargument ge­gen die Par­tei heraus. Wenn Re­publikaner Einwände ge­gen Mina­rette neben Kirchen und in Wohn­gebieten erheben oder wenn sie "schnelle Abschiebung von Schein­asylanten" fordern, dann knüpfen Verfassungsschüt­zer daran inquisitorische Konstruktionen: Wer solches verlan­ge, lautet die auch von manchen Gerichten gebilligte Folge­rung, wende sich "gegen das friedliche Zusammenleben" mit Auslän­dern und damit gegen deren Menschenwürde. Weil aber das Gebot der Menschenwürde oberster Verfassungsgrundsatz sei, liege die Verfassungsfeindlichkeit der Partei klar vor Au­gen.

 

Im vor dem OVG Koblenz laufenden Prozeß des Landes Rheinland-Pfalz gegen die in erster Instanz siegreichen Repu­blikaner gegen die Beobachtung verstieg das Land sich sogar zu einem seinerseits verfas­sungsfeindlichen Gipfel: Es stehe zwar nur im Grundgesetz, daß die Achtung der Menschenwürde eine Verpflichtung aller staatlichen Gewalt sei. Es komme aber heute dar­auf an, "normative Be­grif­fe wie frei­heitli­che demo­kratische Grundord­nung und Men­schen­würde nicht sta­tisch zu inter­pre­tie­ren." An­ders als vor dreißig Jahren müsse man in diese Be­griffe heute hineinlesen, "was dem friedlichen Zusam­men­leben von 7 Mio. Ausländern mit uns diene und was dafür erfor­der­lich sei."

 

Das Land behauptet, Art.20 GG garan­tie­re "die Republik als ei­ne Verfassungsordnung der friedli­chen Koestistenz von Ras­sen und Kulturen."[26] Tatsächlich lautet die Vorschrift: "Die Bun­desrepublik Deutschland ist ein de­mokrati­scher und sozia­ler Bundesstaat. Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Ab­stimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der voll­zie­henden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt. Die Gesetz­gebung ist an die verfas­sungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Recht­sprechung sind an Recht und Ge­setz ge­bunden." - So wird die Ver­fassung wie eine Wun­dertüte be­nutzt, aus der man jeden beliebi­gen ideo­logi­schen Inhalt her­aus­lesen kann. Darin liegt ein Ab­schied von der un­ver­brüch­li­chen Herr­schaft des Ge­setzes und ein Bruch des Rechts­staatsprinzip aus dem soeben zitierten Art.20. Wer das Gesetz durch einen Vor­be­halt wechselnder ideo­logi­scher Aus­legungen relati­viert, ver­ändert die Natur des politischen Kon­flikts: Er wird nicht mehr mit rechtlichen, son­dern mit ideolo­gischen Waffen ausge­tragen. Er geht den Weg vom Rechtsstaat zum Weltanschauungsstaat. Überdies verbietet sich diese aus­deh­nende Neu­interpre­tation durch Art.79 I 1 GG, weil das GG nur durch aus­drückli­che Wortlautände­rung geän­dert werden darf, auch wenn sich Verhältnisse ge­ändert ha­ben soll­ten.

 

Eine nachhaltige Gefahr für die FdGO geht von einem Verfas­sungsverständnis aus, das die öffentliche Meinung zu bestimm­ten Sachthemen obrigkeitlich lenkt: durch auf Steuer­zahlerko­sten gedruckte Wahlzeitungen mit Annoncen "Mein Freund ist Ausländer" etwa, durch scheinbar behördlich-objektive VS-Be­richte und eine Beobachtungs­praxis, die eine konservative Par­tei durch den Ruch der Ille­galität stigmatisiert. Die Öf­fent­lich­keitsar­beit darf aber nicht durch Einsatz öffent­li­cher Mittel den Mehr­heitsparteien zu Hilfe kom­men und die Op­po­si­ti­ons­partei­en be­kämp­fen. Das ist mit den Grund­sätzen ei­nes freien und of­fe­nen Prozesses der Mei­nungs- und Wil­lens­bil­dung des Vol­kes und der Gleich­be­rech­­tigung der politischen Par­tei­en nicht ver­einbar.[27] Es gilt das Ge­bot des grund­sätz­lich staats­freien und offe­nen Meinungs- und Wil­lensbil­dungspro­zes­ses vom Volk zu den Staatsorganen[28] und nicht umgekehrt. Der VS-Bericht ist hingegen eine ideologische Kampfansage an die betreffende Partei, ein Ausgrenzen aus dem Kreis derer, die sich legiti­mer­weise am demokratischen Willens­bildungsprozeß beteili­gen dürfen, und zuletzt eine mas­sive Form der politischen Wil­lensbildung von oben nach unten. So gesehen ist der VS in Händen der regierenden Parteien ein zum Bock ge­machter Gärtner.

 

Mehr noch: Indem ein Land einen Verfas­sungsgrundsatz des friedlichen Zusammenlebens eines Plurals von Rassen und Kulturen erfindet, trachtet es den Sou­verän un­serer Demokratie, das deutsche Volk nämlich, durch eine multi­kul­tu­relle Be­völ­kerung zu ersetzen. Dieses Ziel verfolgen man­che Rot-Grünen auch mit ihren Plänen zur Massenein­bürge­rung. Christiane Hu­bo hat das als eine Trans­formation des Staa­tes durch den VS oder auch als kalten Ver­fas­sungs­putsch be­zeich­net.[29] Auch der Bon­ner Verfassungsrechtler Isensee be­zeich­nete es als Staats­streich des Parlaments:[30] "Die Proble­matik besteht darin, daß ge­plant wird, durch einfa­chen Gesetzes­beschluß des Par­la­ments das deut­sche Volk um­zudefinieren und auf einen Schlag drei Millionen Per­sonen als Deutsche zu bestimmen, obwohl diese sich nicht zur Gemein­schaft des deutschen Volkes, son­dern zu der eines ande­ren, im wesentlichen des türkischen be­kennen. Eine sol­che ob­rigkeitli­che Umdefinition durch das Parlament liegt au­ßerhalb seiner verfassungsrechtlichen Be­fugnisse."

 

Umdefinitionen jeder Art übersteigen nicht nur die Kompetenz des VS. Verfassungsschutzberichte sollten sich auf Tatsachen be­schränken und nicht fragwürdige polito­logische In­ter­pre­ta­tio­nen als amtlich erhärtete Fakten ausgeben.



[1] Carl Schmitt, Legalität und Legitimität, 1932,  55 f., 61, 74.

 

[2] Exemplarisch: OVG Lüneburg U.v. 26.6.97 -13 L 383/95-: "Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Zielsetzungen ergeben sich jedenfalls aus der ständigen Verwendung des Begriffes der "Umerziehung" für die Wiederbegründung der deutschen Demokratie unter dem Ein­fluß der westalliierten Besatzungsmächte nach 1945."

 

[3] BGH U.v.27.9.93, NJW 94, 43: kein Indiz für Verstoß des Parteiprogramms ge­gen Grundsätze der FdGO.

 

[4] Ausführlich; Klaus Kunze, Geheimsache Politprozesse, Systemwechsel durch Uminterpretation: Verfassungs­schutz und Gerichtsbarkeit nach dem linken Marsch durch die Institutionen  am Beispiel der Republikanerverfolgung, Uslar 1998,  ISBN 3-933334-05-5.

 

[5] BVerfG E 20, 56 (99) = NJW 1966,1499 (1503).

 

[6] Martin Kriele, 1.Zitatsatz: Sekte als Kampfbegriff, FAZ 6.4.1994, 2. Zitatsatz: Leserbrief in FAZ 4.5.1994.

 

[7] Dez.1998, Hrg. Min.d.Innern und für Sport.

 

[8] Etwa indem anläßlich von Parteitagen die ARD nicht über die gehaltenen Re­den berichtete, sondern die Stiefel vermutlich bestellter Skindheads vor der Halle abbildeten und dazu die Ansicht der Journalisten über die mutmaßlichen Ansich­ten von glatzigen Stiefelträgern verbreiteten.

 

[9] BGH NJW 1983, 1415, OLG Köln NJW 85, 273.

 

[10] Etwa VG Münster B.v.24.2.95 - 15 K 4889/94.0; OVG Münster Beschluß v. 12.10.95 6d A 2690/95.0, VG Münster 15 K 959/97.O, VGH Kassel, 7.5.1998, 24 DH 2498/96 DVBl 98, 1095 L .

 

[11] BVerwG B.v. 13.10.98 1 WB 86.97, NVwZ 99,299 im Falle eines Majors: Das BVerwG prüfte nicht die Verfassungsmäßigkeit der REP, sondern beließ den Dienstvorgesetz­ten einen Beurteilungsspielraum: Wenn "Fachbehörden" wie der VS und einige Ver­wal­tungsgerichte Verdachtsmomente sähen, "Bedenken gegen die Eignung nicht ausgeräumt".

 

[12] Wehrdisziplinaranwalt beim Truppendienstgericht Nord Az.25-01-24 V 174/97.

 

[13] Fall eines Oberleutnants der SFOR mit REP-Parteibuch, der nach bestandenem Lehrgang seine Hauptmannsstelle und Beförderung nicht bekam, "Weil er vom MAD als Extremist" eingestuft wurde (laufendes Verfahren BVerwG 1 WB 40., 41. und 42.99.

 

[14] Dietrich Murswiek, Staatliche Warnungen, Wertungen, Kritik als Grund­rechts­eingriffe - Zur Wirt­schafts- und Meinungslenkung durch staatliches In­formati­onshandeln,  DVBl 1997, 1021.

 

[15] BVerfG Urteil vom 15.8.1956, BVerfGE Bd. 5, S. 85 ff., sog. KPD-Urteil

 

[16] BVerfG Urteil vom 23.10.1952, E Bd.2, S.15 f., sog. SRP-Urteil.

 

[17] FAP, Wiking-Jugend BVerwG B.v.21.4.95 NJW 95,2505, Nationalistische Front, Nationaler Block VGH München, 26.1.1994, 4 A 93.2151 NVwZ-RR 95, 200 u.a.

 

[18] "Überlegungen zur Strategie der CDU gegenüber den REP", April 1989, Hrg. Grund­satz- und Planungsabteilung der Konrad-Adenauer-Stiftung, S.2.

 

[19] Jochen A. Frowein Die Macht, die übers Geld gebietet, Parteien und Verfas­sungsstaat, FAZ 13.9.1996

 

[20] Samuel von Pufendorf, De statu Imperii Germanici, 1667, Die Verfassung des Deutschen Reiches, Hrg.Horst Denzer, Frankfurt/M.1994, S.165.

 

[21] Falk Frhr.von Maltzahn, Leserbrief FAZ 27.5.1994.

 

[22] Übersicht bei Klaus Kunze, a.a.O., S.13 ff.

 

[23] Prozeß Rep.NRW ./. Land NRW, VG Düsseldorf 1 L5758/92.

 

[24] VG Mainz U.v.10.12.97 7 K 102/94.MZ.

 

[25] VG Berlin U.v. 31.8.98, NJW 99, 806.

 

[26] OVG Koblenz, Rechtsstreit 12 A 11774/98.OVG, Schriftsatz des Landes Rheinland-Pfalz, Autor Prof. Friedhelm Hufen, vom 26.2.1999, S.7.

 

[27] BVerfG E 44, 125 (150) = NJW 1977,751.

 

[28] BVerfG NJW 1966, S.1499.

 

[29] Christiane Hubo, Verfassungsschutz des Staates durch geistig-politische Aus­einander­setzung, Ein Beitrag zum Handeln des Staates gegen Rechts, Disserta­tion Speyer-Göt­tin­gen 1998, S.247-256.

 

[30] Josef Isensee, Ein Staatsstreich des Parlaments, DIE WELT 6.1.1999.