Klaus Kunze
- Publizierte Zeitungsartikel (Auswahl) -
 

Rexrodts Mo­ral und deut­sches Wesen

(Publikation des Aufsatzes: Junge Freiheit 5/ 1995 )

 

Seine russischen Gastgeber in St. Pe­ters­burg werden geringe Freude am deut­schen Wirtschafts­minister Rex­rodt ver­spürt haben. "Sanktionen" ge­gen Ruß­land, tönte er so naßforsch wie weiland Wilhelm Zwo, wolle er nun doch nicht mehr aus­schließen. Rußland solle doch ge­fälligst seine krie­gerische Verwicklung in Tschet­schenien be­enden! Sonst wür­den auf euro­päischer Ebene wie auch von Deutschland andere Saiten aufgezo­gen.


Sanktionen sind ein völkerrechtlich er­laubter, feindlicher Akt eines souve­rä­nen Staats gegen ei­nen anderen. Die Sanktion liegt noch gerade un­terhalb der Schwelle des Krieges. Inhaltlich ist sie eine "Be­stra­fung" dafür, daß der andere einer For­de­rung des einen nicht nach­kommt. Das klassi­sche Völker­recht gab die­sem ande­ren als Antwort auf die Sanktion das Ius belli: das Recht, ihm den Krieg zu erklä­ren.


Die Ambition deutscher Politiker, an un­serem moralischen Wesen die Welt ge­ne­sen zu lassen, hat lange Tradition. Heute noch ist an der Süd­sei­te des Köl­ner Do­mes eine Gedenk­tafel zur Erinne­rung an die Vollen­dung vor über 100 Jahren und die Ge­denkrede des damali­gen Kai­sers ange­bracht. Der Dom von Köln, so bitte ich von Gott, rage über diese Stadt und zeuge von einem den Frieden der Welt unblutig er­zwingenden Deutsch­land. So kann bis heute jeder nachle­sen, wie man sich das da­mals vor­stellte: Un­blutig blei­ben, aber doch den Frieden er­zwin­gen, die Pax ger­manica, eine Ord­nung nach Deutsch­lands Gusto und zu unserem Nut­zen, denn es sollte un­ser Frieden nach un­seren Spielre­geln sein.


Auch Jelzin in Rußland möchte Frie­den: Ruß­lands Frieden, also einen Zu­stand, in dem Ruß­land die Früchte seiner Macht über die inkorpo­rierten Klein­völ­ker fried­lich genießen kann. Das kann man gut ver­stehen. Krieg möchte Jelzin nur not­falls, um seinen Frieden wieder herzustel­len. Die Tschet­schenen möchten das nicht. Sie möch­ten lieber ihren Frie­den, und der schließt die rus­sische Herr­schaft aus. Auch das kann man ver­ste­hen. Völ­ker haben schließlich Interessen, und zwar entgegen­gesetzte. Man führt im Kau­kasus keinen Krieg um abstrakte Normen oder Ideale. Die ihnen eigene Art des Lebens und des Seins gegen die russi­sche Fremdherrschaft zu ver­teidi­gen, scheint den Tschetschenen Grund ge­nug, da­für zu kämpfen und not­falls auch zu sterben. Sie ziehen nicht für ei­ne ab­strakte Freiheit schlecht­hin in den Kampf, sondern für ihre Freiheit und für ihren Frie­den.


Es scheint eine nicht ausrottbare ne­opla­toni­sche Seuche in Deutschland zu sein, für ideologi­sche Hirngespinste alles aufs Spiel zu setzen. Den Frie­den schlechthin, den unser Bun­desmi­nister unblu­tig er­zwingen möchte, gibt es nicht. Er ist nichts als ein blutloser Hauch der Stim­me. Es gibt für die Tschet­sche­nen nur Selbstbestim­mung contra Fremd­herr­schaft, und für Ruß­land nur ihr "ewiges, unteilbares" rus­sisches Reich con­tra se­pa­ratistische Verbrecherbanden. Das Recht des ei­nen und das Recht des an­de­ren sind gleichwer­tig, schließen einander aber aus, ebenso wie der Frieden des ei­nen und der Frieden des anderen Volkes.


Recht kämpft gegen Recht und Be­frie­dungsan­spruch gegen Befriedungs­an­spruch. Alles das sind nichts als Chiffren zur Verkleidung der hinter den Wort­hül­sen stehenden Machtan­sprüche: Freiheit ist die Macht, gegen den Willen des an­de­ren nach Be­lieben zu verfahren. Diese Freiheit nimmt sich zunehmend auch das wieder­ver­einigte Deutsch­land, und die Chiffren seines Machtanspruchs tö­nen so lieb­lich wie eh und je: Kein Staatsbesuch im Aus­land ohne ein Einfordern der Menschen­rechte, des Friedens und der Freiheit. Doch: Welcher Rechte welcher Menschen gegen wen und auf was? Wel­ches friedli­chen Status quo ge­gen den Anspruch wes­sen auf Ver­änderung? Wes­sen Freiheit wo­zu und gegen wen? Hinter normativisti­schen Fiktionen pfle­gen sich handfe­ste poli­tische Interessen zu ver­stecken. Fragen wir einmal: In wes­sen Interesse liegt es ei­gentlich, daß Deutschland sich mit Ruß­land anlegt, in­dem es ihm be­stimmte mo­ralischen Spiel­regeln auf­zwin­gen will? Wem nüt­zen diese Re­geln?