Publikation: Staatsbriefe 5/1992
                    
            
            
              
               
              
              
            
            Der Glaube an den Holokaust und der komplementäre Glaube, 
              dieser sei nur eine "Auschwitzlüge", hat bei vielen eine 
              zutiefst religiös-metaphysische Qualität angenommen. Für Gläubige 
              ist der Realitätsgehalt ihres Glaubens von minderer Wichtigkeit. 
              Wie immer, wenn statt des Strebens nach nachprüfbaren Fakten Glaube 
              und Gegenglaube unversöhnlich aufeinanderprallen, ist die Entscheidung 
              für die eine oder andere "Wahrheit" eine Machtfrage.
            
            Seit Moses Zeiten verstehen sich die Juden als auserwähltes 
              Volk des Gottes Jahwe; erwählt unter allen Völkern zu einem besonderen 
              Bunde mit ihrem Gotte. Die ganze Geschichte ihres Volkes interpretieren 
              sie von diesem Glauben her und verstehen ihre Höhen als Belohnungen 
              und die Tiefen als Strafen Jahwes. Ob das letzte auch für den Holokaust 
              zutrifft oder nicht: "Der Glaube, 6 Mio. Juden seien in Gaskammern 
              getötet worden, zählt heute so fest zum religiösen Glaubensbestand 
              der Juden, daß sich ihr Selbstverständnis davon nicht mehr trennen 
              läßt."
                  
                   Nach Meinung des israelischen Publizisten und Politologen Tom Segev              ist das Gedenken an den Mord zu einer "säkular-nationalen Religion" 
              stilisiert worden. Es sei unantastbar, aus der Geschichte herausgenommen 
              und zu einer Doktrin nationaler Wahrheit umgeformt.
            
Besuche in Auschwitz seien zu einem "Ritual 
              dieser Religion geworden, wie eine Prozession auf der Via Dolorosa". Auch nach Ansicht des deutsch-jüdischen Münchener Professors Wolffsohn              hat sich die Vergangenheitsbewältigung auf jüdischer Seite in eine 
              pseudoreligiöse Sackgasse verrannt. Darum habe das Bestreiten des 
              Holokausts für gläubige Juden den Charakter eines Angriffs auf den 
              religiösen Kernbereich ihres Selbstverständnisses als Jude.  
            Der Bundesgerichtshof drückt dasselbe in seinem Urteil 
              vorn 18. 9. 1979 so aus: "Es gehört zu ihrem personalen Selbstverständnis, 
              als zugehörig zu einer durch das Schicksal herausgehobenen Personengruppe begriffen 
              zu werden, der gegenüber eine besondere moralische Verantwortlichkeit 
              aller anderen besteht, und das Teil ihrer Würde ist... Wer jene Vorgänge 
              zu leugnen versucht, spricht jedem einzelnen von ihnen diese persönliche 
              Geltung ab, auf die sie einen Anspruch haben."
            
            Dem jüdischen Auserwähltheitsglauben antithetisch entgegengesetzt war der Glaube der Antisemiten, die auch 
              meinten, die Juden seien herausgehoben, aber als "unser Unglück"; 
              und der Nationalsozialisten, die an die Herrenmenschenrasse der 
              Germanen glaubten: an den "nordischen Übermenschen" in (falsch 
              verstandener) Anlehnung an einen Begriff Nietzsches Ohne Kenntnis des jüdischen Begriffs vom 
              auserwählten Volk wäre der Glaube an ein auserwähltes arisches Herrenmenschentum, 
              eine hervorgehobene nordische Rasse und eine Weltsendung des deutschen 
              Volkes nicht zu denken gewesen. Noch Karl Marx hatte nichts vom 
              Judentum gehalten, und sein Zeitalter, das bürgerliche, assimilierte 
              und emanzipierte die Juden. Die jüdische Rückbesinnung auf ihr spezifisches 
              Volkstum setzte erst Ende des 19. Jahrhunderts mit Theodor Herzl (1860-1904) 
              voll ein und mündete mit der Forderung nach Pflege 
              der jüdischen Identität und Begründung eines eigenen Judenstaates 
              in den modernen Zionismus. Herzls Buch "Der Judenstaat" erregte 1896 unter den Juden einen wahren 
              Sturm des Für und Wider; und erst drei Jahre später legte der Engländer 
              Houston Stewart Chamberlain, späterer Lieblingsautor Adolf Hitlers, 
              den Gegenentwurf von der Weltmission der arischen Rasse vor, in der er den nordisch-arischen Geist als 
              eigenen Kulturträger ansah.
            
            Auserwähltheitsglaube im religiösen (Juden) oder quasireligiös-metaphysischen 
              Sinne (Chamberlain, Nationalsozialismus) und die Forderung, sich mit 
              nicht Auserwählten nicht biologisch zu vermischen, standen immer in 
              untrennbarem Zusammenhang, wobei wieder das Judentum die Vorlage 
              abgab. Dessen waren sich nationalsozialistische Schulbücher bewußt. Sie erwähnten unter dem Stichwort 
              "Rassengesetze", daß die Juden nach dem Gebot ihres Gottes nur Juden heiraten dürften und daß strenggläubige 
              Juden die Nürnberger Gesetze angeblich bejahten, weil diese den Deutschen die 
              Mischehe ebenso verboten Wie das Judentum seine Identität religiös 
              überhöhte -"Ihr habt dem Herrn die Treue gebrochen, als ihr 
              euch fremde Frauen genommen..."-, sah der Nationalsozialismus 
              die ebenfalls im Immateriell-Metaphysischen wurzelnde Kategorie der 
              Ehre durch Mischheirat berührt und mag gefürchtet 
              haben, der nordisch-arische Geist könne Schaden nehmen
            
            Die Judenfrage hat unter den christlichen Völkern auch eine
              theologische Dimension, die sich Verstandeskräften entzieht
              Darum geht es bei dem Streit um "Holokaust" und "Auschwitzlüge"
              nicht um hinterfragbare historische Tatsachen, sondern um "letzte
              Wahrheiten" im transzendenten Sinne. Nur so ist die beispiellose
              Erbitterung zu verstehen, mit der diese Auseinandersetzung geführt wird. Von
              staatlicher, dem Andenken an die Opfer verpflichteter Seite werden da
              Verbotsgesetze eingeführt, die nicht nur die anderslautenden Behauptungen  und ihre öffentliche Verbreitung unter Strafe stellt, sondern auch die
              wissenschaftliche Forschung in einem seit Galileis Zeiten nicht gekannten Maße
              behindert Eine ganze Reihe einschlägiger Strafurteile läßt es nicht
              angezeigt sein, von dem abzuweichen, was Gerichte als "historisch
              feststehend" und daher nicht beweisbedürftig verteidigen
              Auf der anderen Seite erstaunt, wie viele sich zu Märtyrern machen wollen,
              indem sie öffentlich Behauptungen aufstellen und sich nachher bestrafen lassen;
              Behauptungen bis in den Bereich des offenbaren Unfugs, wie z. B., eine
              Judenverfolgung habe überhaupt nicht stattgefunden. Forensischer Erfahrung
              nach sind die meisten bestraften "Täter" der festen Überzeugung, es
              habe keine Gaskammern und keinen Holokaust gegeben, auch sei die Opferzahl
              nicht 6 Mio. gewesen
            Jenseits historisch-faktischer Fragen interessiert
              hier der Eifer, mit der abweichlerische Meinungen zu zeitgeschichtlichen
              Zahlen als strafbar verfolgt werden, ein in der Geschichte der Moderne
              einzigartiger Vorgang, und der komplementäre Eifer, mit dem Leute wie Zündel,
              Honsik, Ochsenberger, Walendy und viele andere Bestrafung auf Bestrafung bis
              zur Vernichtung ihrer bürgerlichen Existenz auf sich nehmen. Ohne die religiöse
              oder metaphysische Inbrunst beider Seiten ist dieses Phänomen nicht erklärbar.
            Vor dem Hintergrund der Verfolgtenperspektive, aus der die
              deutsche Nachkriegs-Staatlichkeit mit ihrer Medieneinfalt das Dritte Reich
              sieht, und ihrem permanenten ideologischen Kriegszustand mit jenem gewinnt jede "verharmlosende" Meinung den Charakter eines Tabubruchs,
              und zwar eines Bruchs des Zentraltabus
              "Tabu" war ursprünglich die Bezeichnung für ein bei sogenannten
              Primitiven übliches feierliches Verbot, bestimmte Handlungen zu begehen. Dabei
              besteht der magisch-religiöse Glaube, eine Übertretung des Tabus bringe der Gemeinschaft
              Schaden. Strafen sind häufig der gewaltsame Ausschluß aus der Stammesgruppe
              oder sogar Tod. So
              schließt das Bundesverwaltungsgericht unmittelbar vom Ableugnen nationalsozialistischer Gewalttaten auf einen
              Verstoß gegen die Pflicht, nach der ein Offizier sich so verhalten muß, daß
              er das Ansehen der Bundeswehr nicht beeinträchtigt, und es entfernte den
              Soldaten aus dem Dienst.
            Alle einschlägigen Gerichtsurteile gleichen sich darin, daß
              Beweisanträge über die Wahrheit oder Unrichtigkeit der abweichlerischen
              Äußerungen nicht angenommen werden. Der Nobelpreisträger Konrad Lorenz weist auf die Gefahr
              zunehmender Indoktrinierbarkeit hin und fordert, man müsse jeden Tag bereit
              sein, eine liebgewordene Hypothese als Frühsport über Bord zu werfen. Die
              hypothetische Annahme, gewisse Dinge seien einfach "wahr", behindere
              die Gewinnung neuer Erkenntnisse. Der entscheidende Schritt zur Bildung einer
              Doktrin bestehe darin, daß eine Annahme eine allzu große Zahl von Anhängern
              gewinne, die sich der Verbreitungsmöglichkeiten der Massenmedien bediene.
            Die Doktrin wird nun mit derselben Zähigkeit und Gefühlsbetontheit
              verteidigt, die am Platz wäre, wenn es gälte, wohlerprobte Weisheiten oder das
              durch Selektion geklärte Wissen einer alten Kultur vor der Vernichtung zu bewahren.
              Wer mit der Meinung nicht konform geht, wird als Ketzer gebrandmarkt, verleumdet
              und nach Möglichkeit diskreditiert. Die höchst spezielle Reaktion des
              "Mobbing", des sozialen Hasses, wird auf ihn entladen, wie es Konrad
              Lorenz dargestellt hat. Sein Schüler Eibl-Eibesfeldt ergänzt, wenn Hypothesen zur Doktrin würden,
              könnten sie Gefängnisse des Geistes werden
              In ein solches Gefängnis kann man sich selbst sperren, wenn man mit geistiger
              Brachialgewalt zu beweisen sucht, daß da gar nichts war, und man kann hineingesperrt
              werden, wenn das eigene kritische Hinterfragen mit Strafdrohung untersagt wird.
            Zwischen dem Glauben an die göttliche Auserwähltheit der
              Juden und dem säkularisierten Gegenglauben an ihre abgrundtiefe
              Schlechtigkeit und das "arische Herrenmenschentum" gibt es bei aller
              strukturellen Gleichheit keine inhaltliche Verständigung. Für den einen Glauben
              wie für den anderen Glauben gilt: Wer sich am Glauben als Prinzip orientiert,
              muß die Vernunft, die Erkenntnis, die Forschung in Mißkredit bringen, und der
              Weg zur Wahrheit wird zum verbotenen Weg
              Während auf der einen Seite die Juden in cumulo verunglimpft und alle
              NS-Verbrechen an ihnen abgestritten werden, nähert man sich auf der anderen
              Seite dem Judentum im Kriechgang: "Aus Blindheit und Schuld zur Umkehr
              gerufen", lesen wir in der neuen Kirchenordnung der evangelischen Kirche
              in Hessen vom 4.12.1991,
              "bezeugt sie neu die bleibende Erwählung der Juden und Gottes Bund mit
              ihnen."
            Auch wenn man den frommen Hessen nicht widerspricht, wenn
              sie sich selbst der Blindheit zeihen, verwundert doch die Demutshaltung, mit
              der hier ein anderes Volk aus religiöser Überzeugung zum auserwählten Volk
              erhöht und inzident alle anderen, auch das eigene, zum spirituellen Ausschuß
              erklärt werden. Im Zeitalter des radikalen Egalitarismus ist es schon etwas
              Besonderes, einem Volk, also einer letztlich biologisch-ethnischen Größe,
              religiös bestimmte Höherwertigkeit über andere Völker zuzusprechen. Die
              evangelischen Hessen würden das zwar entschieden leugnen, die Konsequenz
              liegt aber mit unausweislicher Logik zutage.
            Erhebt man die Erwähltheit eines Volkes, z. B. des jüdischen,
              zum religiösen Glaubensinhalt, dann stellt auch nur ein einziges Verbrechen
              an einem Juden nach denselben erbarmungslosen Gesetzen religiöser Logik ein
              Sakrileg dar, einen Angriff auf Gott sozusagen, der über einen Verstoß gegen
              das "Du sollst nicht töten" weit hinausreicht. Manche Juden sehen das
              durchaus so Wer
              sich aber in solchen religiös-völkischen Kollektivismen fangen läßt,
              begründet nichts weniger als eine Art Erbsündentheorie für alle kommenden
              deutschen Generationen mit bußfertiger Fußfälligkeit.
            Die alltäglichen praktischen Folgen einer solchen Einstellung
              mögen ja für Juden durchaus vorteilhaft sein. So bedürfen Staatsbürger der
              ehemaligen UdSSR keiner besonderen Umstände, heute in Deutschland Zuzugsrecht,
              Wohnung und alle Ansprüche auf Sozialleistungen zu erhalten, wenn sie nur
              jüdische Abstammung vorweisen können. Das ist die konsequente Büßermanier, die
              der Bundesgerichtshof rnit "besonderer rnoralischer Verantwortlichkeit
              aller anderen" meint und die der hessischen Kirche zufolge aus
              "unserer Schuld" folgt. Bis zur "zweiten Schuld" derer, die ob der ersten nicht die nötige Zerknirschtheit zeigen, ist dann nur
              noch ein kleiner Schritt. So kann man sich in einem unentwirrbaren Knäuel
              religiös motivierter Schuldvorstellungen verstricken, einem Gordischen Knoten
              von Auserwähltheitsglauben, Schuldkomplexen und Minderwertigkeitswahn.
            Der Zeitpunkt ist indessen abzusehen, in dem die Fragestellung
              "Holokaust oder Auschwitzlüge" nur noch Minderheiten interessiert.
              Die Jahrhunderte seit Beginn der Neuzeit haben eine Abfolge von
              Neutralisierungen
              gebildet: Stritt das 16. Jahrhundert noch bis aufs Blut um die "wahre"
              Religion, sah das 17. die müde gewordenen Streiter im Kampf um metaphysische
              Denkgebäude. Die in vielen Jahrhunderten herausgearbeiteten theologischen
              Begriffe werden plötzlich uninteressant und Privatsache. Damit wurde kein
              Streitpunkt entschieden - man wich nur auf ein benachbartes Feld aus, eine
              zunächst neutral scheinende Sphäre. Das 18. Jahrhundert brachte den Schritt zum
              Moralisch-Humanitären und das 19. den zum Ökonomisch-Technischen. Analog dem
              Verlassen des geistigen Kampfplatzes auf ein anderes Feld wird die Zeit
              über die mit dem Begriff des Holokaust angesprochenen Fragestellungen irgendwann hinweggehen.
              Die Antwort wird dann darin liegen, daß niemand mehr die Frage "Holokaust
              oder Auschwitzlüge" in der Absicht stellt, sie zu instrumentalisieren und
              mit der Antwort die Gewähltheit oder Verworfenheit eines ganzen Volkes zu
              begründen