Das Plebiszit als  Sollbruchstelle des Parteienstaates
          
          Klaus Kunze
        Vortrag, gehalten in Bielefeld (3. Bielefelder Ideenwerkstatt) am 11.11.2007
        Der Parteienstaat ist im Zeitalter der industriellen  Massengesellschaft unüberwindlich, solange er deren objektive Funktionsbedingungen  und den Machterhalt ihrer Hauptnutznießer optimal garantiert. Er ist ein Gemeinwesen,  in dem 
          (I.) - soziologisch gesehen - sich gesellschaftliche Kräfte des Staates bemächtigt und eine  absolute Gesellschaft installiert haben, 
          (II.) in dem es verfassungsrechtlich gesehen keine Gewaltenteilung mehr gibt, weil alle Staatsgewalten von denselben  gesellschaftlichen Kräften kontrolliert werden,
          (III.) ökonomisch diese Kräfte eine sie begünstigende Ordnung durchgesetzt haben 
          (IV.) und ideologisch ihre Macht durch eine Herrschaftsideologie absichern,
        wobei jedes dieser vier Merkmale mit den anderen in einem  notwendigen funktionalen Zusammenhang steht. 
          
          In der konkreten geographischen, historischen, ideologischen  und ökonomischen Lage der Deutschen entspricht der heutige Parteienstaat der  Interessenlage derer, die mächtig sind und ihre Macht dazu benutzen,  diejenigen Regeln aufrechtzuerhalten, die ihre Macht auch künftig sichern. Die  Macht hat nämlich, wer die Regeln von Machtgewinn und Machterhalt regelt.
          
        Der philosophische Liberalismus hat verfassungsrechtlich im  Parlamentarismus und ökonomisch im Kapitalismus seine in sich  widerspruchsfreie, konsequente Verwirklichung erfahren. Die politische  Stabilität des Gesamtphänomens beruht auf dieser Konsistenz der zusammengehörenden  Merkmale, von denen sich keines beliebig verändern läßt, ohne mit einem  anderen in Widerspruch zu geraten. Das Gesamtphänomen Parteienstaat ist stabil und nicht durch ein anderes Modell zu ersetzen,  solange wir uns in der modernen industrielle Massengesellschaft befinden. Alle  publizistischen Crash-Theoretiker, die Deutschland sein Jahrzehnten einem Abgrund  entgegentaumeln sehen, auf den Aufschlag warten und den Tat danach ersehnen,  um als Retter Deutschlands in die erste Reihe zu treten, vergessen das Wort  Machiavellis: Jeder muß scheitern, der seine Pläne nicht mit den Zeitverhältnissen  in Einklang bringt.
          
        
        
        
          
            | Die Machtergreifung des Partikularen | 
        
        Grundlegend für das Verständnis des Parteienstaates ist die  Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, weil die Überwältigung des Staates  durch Parteiinteressen verpflichtete gesellschaftliche Kräfte ein Wesensmelrmal  des Parteienstaates ist. 
          
          Die neuzeitliche Idee des Staates beruht auf der Erfahrung,  daß es keine bürgerliche Freiheit geben kann, wo kein überparteilicher Staat  sie garantiert. Er soll die gesellschaftlichen Mächte zähmen und kontrollieren.  Es kann keine Freiheit geben, wo niemand Rechte des Bauern gegen seinen Grundherrn  garantiert, Rechte des Gesellen gegen seine Zunft, Rechte des Mieters gegen  seinen Vermieter oder der Verbraucher gegen die Industrie. Kurz: Der neutrale  Rechtsstaat ist die Garantie des Schwächeren gegen den gesellschaftlich  Starken. Der neutrale Rechtsstaat ist die Errungenschaft der Neuzeit  schlechthin und unverzichtbarer Garant unserer bürgerlicher Freiheit. 
          
          Einen Parteienstaat erkennen wir äußerlich daran, daß Staat  und Parteien sich ununterscheidbar zu decken beginnen. Gesellschaftliche  Gruppen identifizieren den Staat mit sich selbst und treten im Parteienstaat  als Staatsparteien auf. Ihre Konkurrenz nennen sie dann Staatsfeinde oder  Verfassungsfeinde. Die Bundesrepublik ist solch ein Parteienstaat, in dem sich  Parteien des Staates fast restlos bemächtigt haben. Es gibt kaum noch  parteilose Machtträger. Sich des Staates bemächtigt heißt: Vertreter der Parteien beherrschen fast restlos alle  Staatsorgane und -funktionen, ja selbst den halb- und vorstaatlichen Raum  wie Fernsehsender. Sie haben sich den Staat zur Beute gemacht und lassen sich  von ihm finanzieren. 
          
          Der Begriff Staat gehört zu den mehrdeutigen Begriffen, bei  deren Verwendung begriffliche Klarheit angebracht ist, um Mißdeutungen zu  vermeiden. Es gibt unterschiedliche Verwendungen des Begriffes Staat.
          
          a) Im allgemeinen staatsrechtlichen Sinne ist ein Staat nach  der Dreielementenlehre ist eine  eigene Rechtsperson, die durch ihre Organe handelt. In jedem Staat übt ein  bestimmtes Staatsvolk auf einem Staatsgebiet Staatsgewalt aus. Diese  Staatsgewalt oder Souveränität ist rechtlich die höchste, also von nichts  höherem abgeleitete Herrschaftsbefugnis. 
          Wenn sie von verschiedenen unabhängigen  Organen ausgeübt wird, spricht man von Gewaltenteilung. Wo sie in einer Hand  vereint ist, herrscht Diktatur. 
          
          b) Wenn man vom Staat im Gegensatz zur Gesellschaft spricht, ist damit von diesen drei Komponenten (Staatsvolk, Staatsgebiet und  Staatsgewalt) die dritte gemeint, die Staatsgewalt. Wo sie unkontrolliert und  unbeeinflußbar alle Macht ausübt, gibt es einen absoluten Staat wie im  historischen Absolutismus der Fürsten. Wo umgekehrt gesellschaftliche Kräfte  wie Parteien alle Staatsgewalten beherrschen, haben wir eine absolute Gesellschaft.
          Ihr Problem liegt in mangelnder Vertretung des Gemeinwohls.  Was uns als Volk in unser aller Bestandsinteresse zusammenhalten müßte,  zerbröselte in den letzten Jahrzehnten. Der Staat hätte funktionell das Ganze  gegenüber den Einzelinteressen zu repräsentieren und zu schützen. 
          
          Diese Repräsentation ist in unserer jetzigen Verfassung  defizitär. Jede gesellschaftliche Gruppe hat ein Interesse gegen die Gesamtheit,  etwa daran, weniger Steuern zu zahlen; zugleich hat der Einzelne aber auch als  Teil des Ganzen ein Interesse daran, daß so viel Steuern einkommen, daß der  Staat ihm nützlich dienen kann. Diese gegenläufigen Interessen jedes Einzelnen  können nicht alle zugleich im selben Staatsorgan repräsentiert sein. Darum  bietet es sich an, daß ein Staatsorgan die Interessen des Ganzen vertritt und  ein anderes die Partikularinteressen in sich repräsentiert und ausgleicht.  Nach jahrhundertealter Tradition sind diese Staatsorgane einerseits die Regierung,  als König oder Kanzler, andererseits die Parlamente. 
          
          Niemand kann gleichzeitig zwei einander entgegengesetzte  Interessen vertreten. Darum kann kein Staatsorgan zugleich das Gesamtinteresse  der Allgemeinheit und zugleich die Einzelinteressen der jeweiligen  gesellschaftlichen Mehrheit vertreten. Es gibt die Regierung, die für das  Ganze handelt, und es gibt das Parlament, in das sich die Einzelinteressen  einbringen. Beide - Gesamt- und Einzelinteresse - sind nur dann effektiv  repräsentiert, wenn Regierung und Parlament voneinander unabhängig sind. Wo  hingegen das eine abhängig vom anderen ist, da herrscht dieses andere  absolut.
          
          So herrschte im Zeitalter des absoluten Fürstenstaaten der  Fürst als Regierung über die machtlosen Stände. Im Zeitalter des staatlichen  Absolutismus wurden die gesellschaftlichen Kräfte gegängelt. Heute ist die Lage  umgekehrt: Wir haben wieder einen Absolutismus, nur sind es diesmal die gesellschaftlichen  Parteien, die den Staat entmachtet und die Regierung von sich abhängig gemacht  haben. Heute hält sich ein Parteienkartell eine jederzeit abhängige Regierung.  Wir haben heute wieder einen Absolutismus, und zwar einen der Gesellschaft. 
        
        
                  Beschränkten wir unsere Sicht auf unsere im Grundgesetz  geregelte Regierungsform, müßen wir sie - wie in England - als  Parlamentarismus klassifizieren und kämen zum Ergebnis, daß der Bundestag das  zentrale Machtzentrum ist und alle klassischen Staatsgewalten beherrscht: Er  macht die wesentlichen Gesetze, bestimmt zusammen mit dem Bundesrat die  Verfassungsrichter, die über die Auslegung seiner Gesetze wachen sollen, und  er bildet mit der Wahl eines von ihm jederzeit abhängigen Kanzlers eine  Regierung, die wie ein Ausschuß funktioniert und seiner völligen Kontrolle  unterliegt. Im Zweifelsfall hat der Bundestag die Kompetenz-Kompetenz, also das Recht, die  Verfassung zu ändern und die Grenzen seiner verfassungsmäßigen Macht selbst  zu bestimmen. 
          
          Solange das Staatsvolk als handelnde politische Entscheidungseinheit  ausgeschaltet ist - Volksabstimmungen sind im Grundgesetz zwar als möglich  vorgesehen, aber nicht in effektiv wirksamen Einzelgesetzen geregelt - bleibt  die Souveränität des Volkes eine metaphysische Fiktion.  Das konkrete handelnde Gremium, das über die Geltung der Verfassung und  ihrer einzelnen Regelungen, das also "über den Ausnahmezustand entscheidet",  ist der Bundestag. Er allein übt die Souveränität aus und ist damit faktisch  ihr Träger, weil er anstelle des nur metaphysisch souveränen Volks, das  danach nie gefragt wurde, die Grundentscheidungen des politischen Lebens  trifft. Der Bundestag ist damit Nukleus der durch die Grundgesetzkonstruktion  gebildeten und verfassungsrechtlichen Normen gehorchenden Regierungsform  des Parlamentarismus. 
          
          Wir müssen unsere Sicht aber erweitern auf Phänomene, die  unser Grundgesetz nur beiläufig erwähnt, die aber die faktische Macht haben.  Die aus allgemeinen Wahlen hervorgegangene Parlamentsregierung ist nur das  Untersystem eines übergeordneten Ganzen, nämlich des absoluten Parteienstaates  mit seiner Herrschaft der Parteiapparate: Wie jeder weiß, besitzen die real  existierenden Abgeordneten, jeder für sich und gemeinsam, die ihnen verfassungsrechtlich  gebührende Entscheidungsmacht und -freiheit nur auf dem Papier. Tatsächlich  sind sie in ein Geflecht von persönlichen Abhängigkeiten mannigfacher Art  eingebunden und unterliegen strenger Fraktionsdisziplin. Wer ausschert, wird  nicht wieder auf die Wahlliste gesetzt. Über das System der Listenwahl  beherrschen die Parteien ihre entsandten Abgeordneten. 
          
          Wenn wir uns das System der staatlichen Verfassungsorgane  mit seinem Ineinandergreifen verschiedener Gewalten als große Maschine  vorstellen, sind die Parteien ihre Bediener. Einschließlich ihrer  hierarchischen Binnenstruktur bilden sie neben dem Staat ein organisiertes  Subsystem. Nach außen von staatlicher Dauerfinanzierung abhängig haben sie  den Staat von innen durchdrungen und usurpiert, um diese Abhängigkeit umzukehren.  Bildlich gesprochen gründen sie mit ihren Wurzeln in der Gesellschaft,  üben aber mit ihren Wipfeln schon die Funktion von Verfassungsorganen aus.  Durch hohe Ämterkombination zwischen Partei- und Parlamentsamt und Regierungs-  und Verwaltungsamt haben  sie neben das innere Gerüst staatlicher Strukturen wie eine Schlingpflanze  ein personell identisches zweites Gerüst gesetzt und sich auf diese Weise  direkten Zugriff auf alle staatlichen Funktionen gesichert. So sind  staatliche Amtsträger zugleich Parteifunktionäre und machen durch diese  Personalunion die Verbindung zwischen den Subsystemen "Staat" und  "Parteien" sichtbar. Den Parteienstaat dürfen wir daher als  übergeordnetes System begreifen, in dessen Innenleben mehrere aufeinander  bezogene Subsysteme existieren, von denen das eine dominiert und das andere  funktioniert: Die Parteien sind die handelnde Seele der Staatsmaschine;  diese die Handpuppe - jene der Puppenspieler!
          
        Bei der grundsätzlichen ideologischen Übereinstimmung der  großen Bundestagsparteien spielt es keine Rolle mehr, ob sich der totale Parteienstaat  als Mehrparteienstaat zeigt, als Blockparteienstaat oder als  Einparteienstaat. Die Macht befindet sich vollständig in Händen eines Parteienkartells,  dessen Teilsysteme nach außen hin Schaukämpfe austragen, inhaltlich aber  nicht für Alternativen stehen. Ihr Wahlkampf ist Schwindel, weil er programmatische  Verschiedenheit vortäuscht. Er ist, mit den Worten George Orwells aus seinem  Roman 1984 gesprochen, "das gleiche wie die Kämpfe zwischen gewissen  Wiederkäuern, deren Hörner in einem solchen Winkel gewachsen sind, daß  sie einander nicht verletzen können. Wenn er aber auch nur ein Scheingefecht  ist, so ist er doch nicht zwecklos, sondern  hilft, die besondere geistige Atmosphäre aufrecht" und unsere "Gesellschaftsstruktur  intakt zu halten." So besteht der Zweck der Großparteien heute hauptsächlich  darin, Wahlverein für den einen oder den anderen Kanzler zu sein: Postenverteilungskartelle  auf Dauer.
        
          
            | Die verfassungsrechtliche Konstruktion des totalen  Parteienstaates | 
        
        Äußerlich erkennen wir einen Parteienstaat daran, daß Staat  und Parteien sich ununterscheidbar zu decken beginnen. Die Bundesrepublik  ist solch ein Parteienstaat, in dem sich die Parteien des Staates fast restlos  bemächtigt haben. Es gibt kaum parteilosen Machtträger im Staat. Sich des Staates bemächtigt heißt: Vertreter  der Parteien beherrschen restlos alle Staatsorgane und -funktionen, ja selbst  den halb- und vorstaatlichen Raum wie Fernsehsender. Sie haben sich den Staat  zur Beute gemacht, lassen sich überwiegend von ihm finanzieren und bezahlen  ihre Wahlpropaganda von Schulden, an denen noch unsere Enkel abzahlen müssen. 
          
          Die fehlende Trennung von Staat und Gesellschaft wirkt sich  verfassungsrechtlich so aus, daß alle wesentlichen Staatsgewalten in der Hand  gesellschaftlicher Parteien sind. Die Gewaltenteilung wird dadurch  unterlaufen, daß ein und dieselbe Partei etwa im Bundestag die Gesetze macht,  als Regierungspartei anwendet und durch parteikonforme Richter überprüfen  läßt. Die institutionelle Trennung der Gewalten wird praktisch bedeutungslos  vor dem Hintergrund der gemeinsamen Parteizugehörigkeit der jeweiligen  Amtsträger.
          
          Gewaltenteilung ließe sich in Deutschland leicht wieder  einführen, wenn wir, dem Vorbild der heutigen US-Verfassung, der französischen  Verfassung oder der Reichsverfassung von 1871 folgend, eine Persönlichkeit den  Staat vertreten und regieren und auf der anderen Seite das Parlament die  Gesellschaft vertreten und die Gesetze machen ließen. Der Präsident wäre  selbst demokratisch legitimiert und nicht dem Parlament verantwortlich. Ein  solches Präsidialsystem wäre mit der freiheitlichen demokratischen  Grundordnung im Sinne des BVerfG nach richtiger Meinung Roman Herzogs ohne weiteres  vereinbar. Art.79 III und 20 GG verlangen nicht das rein parlamentarische  Regierungssystem, sondern lassen ein präsidiales durchaus zu. Darum sind etwa  die USA kein Parteienstaat. Die Türkei hat im Oktober 2007 ein solches  Präsidialsystem gesetzlich eingeführt.
          
          Der Blick auf das komplizierte Ineinandergreifen der beiden  Handlungssysteme - wir betrachteten die vom Parteiensystem faktisch  überlagerte Macht des Parlaments - darf nicht ein drittes außer acht lassen:  die Medienmacht. Die Diskussion geht dahin, wie weit der Parteienstaat  überhaupt noch diesen Namen verdient, und ob nicht Massenmedien längst den  beherrschenden Einfluß ausüben. Tatsächlich ist das Verhältnis ambivalent:  einerseits wirken die Medien auf die Parteienlandschaft ein, indem jede Partei  für ihre massenhafte Selbstdarstellung und spätere Wahlerfolge zwingend auf  Medien angewiesen ist. Die öffentlichrechtlichen Medien laufen ohnehin an  der Leine der Großparteien, und die privaten Medien unterliegen den Gesetzen  des Marktes und werden keine Partei positiv darstellen, von der sie eine grundsätzliche  Veränderung der Verhältnisse befürchten müssen, von denen sie selbst abhängen.  Vor allen diesen Überlegungen ist aber festzustellen, daß die Existenz- und  Einflußbedingungen aller Medien in ihrem Grunde bestimmt und beherrscht werden  durch das Parlament, das die Gesetze erläßt, in deren Rahmen Medien erst  wirken können. Der Parlamentarismus hat sich natürlich solche Gesetze  geschaffen, in denen die Medien die Funktionsbedingungen des Parlamentarismus  bzw. des Kapitalismus in Gegenwart und Zukunft garantieren. Aus dieser Sicht  ist die Medienwelt ein weiteres Subsystem eines Parteienstaates. 
          
          Innerparteilich begünstigt sie oligarchische Strukturen,  indem sie das Gewicht stets medienpräsenter Führungspersonen gegenüber den  Parteigremien erhöht. Dem ehernen Gesetz der Oligarchie entgegen wirken nur  Plebiszite. Ein solches wäre eine Direktwahl der Exekutive, also etwa des Bundespräsidenten,  dem allein die Regierung verantwortlich wäre. Darum scheuen etablierte  Machteliten nichts mehr, als ihre Herrschaft und ihre Entscheidungen durch allgemeine  Abstimmungen zu gefährden. Die Macht hat und behält, wer die Regeln regelt.  Die Führungsoligarchien des Parteienstaates werden immer das strenge Repräsentationsprinzip  verteidigen und Volksentscheidungen als gefährliches Spiel mit dem Feuer denunzieren.  Tatsächlich steht bei Volksentscheid alles zur Disposition, weil das Volk  nominell der Souverän ist. Ob sich Forderungen nach demokratischen Direktentscheidungsrechten  des Volkes durchsetzen, ist eine reine Machtfrage. Ließen die  Führungsoligarchien der Staatsparteien sie zu, würden sie den Ast absägen,  auf dem sie sitzen. Solange sie die Macht haben, werden sie die Gesetze so  lassen, daß das Volk weiterhin nicht danach gefragt wird, ob es Entscheidungen  direkt durch Abstimmung treffen will.
  
        
          
            | Die Ideologie des Parteienstaats im Rahmen der Moderne | 
        
        Jede Staats- und Gesellschaftsform beruht auf einer  herrschenden Ideologie. Heute ist die bürgerliche des 19.Jahrhunderts durch die  moderne des 20. abgelöst. Der Parteienstaat beruht auf der letzteren. Er kann  nicht abgelöst werden durch eine andere Gesellschaftsform, solange die Moderne  anhält.
          
          Im 18. Jahrhundert hatten sich die ideologischen Grundlagen  des bürgerlichen Liberalismus gebildet. Sein weltanschaulicher Kern bestand  im Glauben, aus der freien Aktivität aller Kräfte und Gegenkräfte entstehe von  selbst im allgemeinen jede Art von Harmonie, in der Diskussion die vollkommene  Wahrheit und im Gesellschaftlichen das Gemeinwohl. Dieses Weltbild hatte  eine ständisch gegliederte Gesellschaft vorgefunden undf richtete sich polemisch  gegen diese. Bürgerlichem Denken zufolge bestanden zwar die Standesunterschiede  substanziell weiter. Sie verfestigten sich aber nicht, sondern gestalteten  sich im Rahmen einer Konkurrenz, die ihrerseits nicht in dem Kampf aller gegen  alle, sondern in ein dynamisches Gleichgewicht münden sollten, in der das  Bürgertum seinen festen Platz hatte. Die "synthetisch-harmonisierende"  Denkfigur ist grundsätzlich bestrebt, das Weltbild aus einer Vielfalt von  unterschiedlichen Dingen und Kräften zu konstruieren, die zwar isoliert betrachtet  sich im Gegensatz zueinander befinden (können), doch in ihrer Gesamtheit ein  harmonisches und gesetzmäßiges Ganzes bilden, innerhalb dessen Friktionen  oder Konflikte im Sinne übergeordneter vernünftiger Zwecke ausgehoben  werden. - Dieser Grundanschauung entspringt der heutige Verfassungsstaat nebst  Gewaltenteilung und ist somit ein Kind des 19. Jahrhunderts.
          
          Der Kern bürgerlichen liberalen Denkens liegt unserem  Grundgesetz und seinen Institutionen zwar noch zugrunde. Durch die Entwicklung  zum Parteienstaat funktionieren die Staatsorgane aber nicht mehr im  ursprünglich gedachten Sinn. Im Bundestag finden keineswegs die edelsten  Geister des Volkes in freier Diskussion das Beste des Volkes. Auch behauptet  das niemand mehr ernstlich. Weil die ursprüngliche ideologische Legitimation  der verfassungsmäßigen Institutionen offenkundig nicht mehr trägt, ist an ihre  Stelle eine Ersatzideologie getreten, die von der politischen Klasse mit allen  Machtmitteln der sogenannten politischen Correctness durchgesetzt wird.
          
          Die synthetisch-harmonisierende Denkfigur des bürgerlichen  19. Jahrhunderts wurde im 20. abgelöst durch die analytisch-kombinatorische.  Sie ist Kennzeichen der Moderne und beruht auf die Annahme, es gebe keinerlei  substanzielle Unterschiede, und darum lasse sich prinzipiell alles bis in den  Grund seiner Bestandteile analysieren und mit allem anderen kombinieren. Sie  geht mit einer Verfassung der Gesellschaft einher, in der soziale Unterschiede  nicht mehr als substanziell gelten, sondern die soziale Mobilität prinzipiell  keine Grenzen kennt und ständig neue Besetzungen der sozial verfügbaren  Rollen gestattet; der massenhafte Charakter dieser Gesellschaft ermöglich  angesichts der prinzipiellen Beteiligung aller Atome, die diese Masse  konstituieren, an den sozialen Vorgängen auf allen Ebenen eine unendliche  Anzahl von Kombinationen, deren Vielfalt und zugleich Vergänglichkeit eben  jeden Substanzgedanken verschwinden und an seiner Stelle bloß funktionale Gesichtspunkte  gelten läßt. Sie nimmt uns Bürger nur noch in funktionalen Rollen wahr wie als  Verbraucher, Arbeitnehmer und so fort.
          
          Diese philosophische Sichtweise steht in engem Zusammenhang  mit den ökonomischen Voraussetzungen von Effizienz und Mobilität, die eine  auf engstem Raum zusammenlebende Massengesellschaft mit dem höchsten Konsum  der Menschheitsgeschichte für ihr Funktionieren unter den gegenwärtigen  technischen Bedingungen benötigt. Diese arbeitsteilende industrielle Massengesellschaft  spülte den Menschentypus und mit ihm die Ideologie an die Schaltstellen der Gesellschaft,  die auf die Anforderungen an Mobilität, Flexibilität, Austauschbarkeit und -  auf der Konsumseite - an Hedonismus und Konsumfreude bestmöglich angepaßt ist.
          
          Beide, das Phänomen Parlamentarismus und seine  Herrschaftsideologie, dienen letztlich der Aufrechterhaltung eines bestimmten  Status quo, in dem sich die faktische Machtposition derjenigen normativ  ausprägt und stabilisiert, die ihren ökonomischen Vorteil aus einer Wirtschaftsverfassung  ziehen, in der ein freies Spiel der Kräfte weitestmöglich ist. Die  Geldmacht ist angewiesen auf ein System, das funktional alle nicht ökonomischen  Machtmittel ausschaltet, indem es sie in ihrem materiellen Wertgehalt  negiert und tabuisiert. Ihre Gesetzmäßigkeiten führen innerstaatlich und  international zu analogen Wirkungen: Freie Geldwirtschaft begünstigt den  ökonomisch Starken dadurch entscheidend, daß er alle anderen als ökonomische  Kräfte wirksam aus dem Kreis der allgemein akzeptierten Spielregeln ausschließt. 
          
        Die heutige Ideologie des Parteienstaats dürfen wir als die  Ethik derjenigen begreifen, die unter den konkreten Bedingungen des Parteienstaates  wirtschaftliche und sonstige Vorteile genießen, weil sie Parteiungen angehören,  die unter einem löcherig gewordenen staatlichen Dach ihre Schäfchen ins  Trockene bringen. Sie setzen ihr spezifisches Recht so, daß es sie und ihren  weiteren Machterhalt begünstigt.
        
        
          
            | Der Zugriff ideologischer Parteien auf den Staat | 
        
        Zur Absicherung ihrer Macht erzeugt die politische Klasse  einen zunehmenden ideologischen Konformitätsdruck. Dieser bezieht sich zunächst  auf die unmittelbaren Funktionsbedingungen ihres Machterhalts.
          
          Von der sogenannten politischen Bildung über  Parteistiftungen bis zu Berufsschulen und in die Medien werden Begriffe  uminterpretiert, um mit ihrer ursprünglichen Bedeutung auch die Erinnerung  daran zu beseitigen. Wer sich allein aus solchen Quellen belehren läßt, was  Demokratie, Gewaltenteilung, Diktatur und ähnliche Begriffe besagen, wird sie  keine Ähnlichkeit zur eigentlichen begrifflichen Bedeutung mehr feststellen.
          
          Darüber hinaus bezieht sich der Konformitätsdruck auf die  ideologischen Grundlagen des gesamten Systems. Der Einzelne bedeutet alles und  das Volk nichts, alle Menschen sind gleich und darum austauschbar,  gesellschaftliche Rangunterschiede werden allenfalls durch den Faktor Geld geregelt,  wir leben im freiesten Staats denn je auf deutschem Boden, alles was rechts  ist, ist böse, die Parteien handeln zum Wohle des Volkes und wie die  Glaubenslehren sonst heißen.
          
          In Deutschland benehmen sich Parteien traditionell wie  weltanschauliche Bürgerkrieger. Zu oft schon wurden Unterlegene in unserem  Lande gnadenlos verfolgt: als Ketzer, als Volksschädlinge oder als  Klassenfeinde. Heute nennt man sie Verfassungsfeinde. Wann immer in Deutschland  eine Partei zur alleinigen Macht kam, ohne durch einen weltanschaulich neutralen  Staat gebändigt zu werden, stand es schlimm um die Freiheit. Es ist wieder  soweit. Stolz sprechen Innenminister vom gegen „rechte“ Gesinnungen erzeugten  Verfolgungsdruck. 
          
          Der geballte weltanschauliche Haß, dessen unser Volk schon  immer fähig war und noch ist, entlädt sich heute gegen alles was als rechts  gilt. Er wird in Schulen herangezüchtet, an Unis verstärkt. Allabendlich wird  uns im Fernsehen eingetrichtert, wen wir lieben sollen und wen wir nicht  häßlich finden dürfen und welche Worte wir noch nicht einmal mehr denken  dürfen. Die Bundesrepublik befindet sich seit ihrer Gründung im ideologischen  Kriegszustand mit dem Dritten Reich. Darum werden alle damaligen Werte zu  Unwerten erklärt und ihr Gegenteil zum Wert. Wer Volk oder Vaterland sagt, gilt schon als Verfassungsfeind. 
          
          Es wäre Aufgabe des Staates, über den Parteien zu stehen und  eine neutrale Rechtsordnung zu gewährleisten, die jeder  innergesellschaftlichen Kraft, jeder weltanschaulichen Richtung ihr Recht und  ihre Freiheit läßt. Heute ist das Gegenteil der Fall. Die Ideologisierung  unserer Rechtsordnung ist weit fortgeschritten. Das Gesetz wird fortwährend  mißbraucht, um unter dem Vorwand der Rechts die politische Rechte rechtlos zu  machen. Im Rechtsstaat äußert sich Macht in der Interpretationsmacht  über das Recht. Die Macht hat,  wer die Regeln regelt: Die Spielregeln im Rechtsstaat heißen Gesetze. Gesetze  sind allgemeingültige Gebote und bestehen aus Worten und Sätzen. Wer über  den Sinn interpretationsfähiger Worte entscheidet, bestimmt darüber,  welcher Bürger und welche Partei gesetzlich und welche ungesetzlich denkt  oder handelt. Er vermag andere Bürger innerhalb oder außerhalb "des Gesetzes"  zu stellen. Wer sich draußen vor die Tür von Recht und Verfassung gesetzt  findet, muß sich von drinnen "Verfassungsfeind" nennen lassen.
          
          Die Interpretationsmacht über Verfassung und Gesetze ist  einer der heißestumkämpften Schauplätze der politischen Arena. Weil Worte  wie Ehe, Demokratie oder Menschenwürde keinen konkreten Bedeutungskern  besitzen, sondern nur Ideen oder Ideale umschreiben, wechselte ihre Auslegung  im Laufe der Jahrhunderte mit den Moden der Philosophie und der Theologie. Es  gibt darum kein Gesetzesrecht, das durch den Wortlaut seiner Buchstaben allein  unumstößlich und ewig gilt. Es wird jeweils aus der Sicht wechselnder  Weltanschauungen oder Ideologien interpretiert. Das Bundesverfassungsgericht  bezeichnet die dem Grundgesetz zugrundeliegende Weltanschauung treffend  als Wertordnung. Ein und derselbe  Begriff wie etwa Gemeinwohl oder Gemeineigentum kann aus Sicht  verschiedener Wertordnungen ganz verschiedenes bedeuten. Darum suchen die  Gegner im politischen Wettkampf den für alle geltenden Gesetzesworten jeweils  ihren eigenen weltanschaulichen Sinngehalt zuzusprechen. 
          
          Der Verfassungsschutz ist eines der Instrumente einer zur  Totalität driftenden Parteienherrschaft. Er dient nicht mehr dem Schutz der  Staatsverfassung, sondern der ideologischen Feindbestimmung. Der Verfassung  werden ideologische Inhalte untergeschoben, von denen die Verfassungsväter  sich unter dem Eindruck zweier Totalitarismen schaudernd abgewandt hatten. Die  Gesinnungsblockwarte sitzen nicht mehr nur in den Medien.  Ihr Marsch durch die Institutionen hat die linksextremen Ideologen von 1968  in die ideologischen Kommandozentralen unseres Staates getragen. Schlimm  genug, daß es eine Zentralverwaltung Wahrheit in Deutschland nach 1945 und  nach 1989 wieder gibt. Schlimmer noch, daß sie die Frechheit besitzt, jedem  ihre Propaganda auf Hochglanzpapier aus unseren Steuergeldern kostenfrei in  Haus zu schicken. Am schlimmsten aber ist es, daß ihre Ideologie auf dem Wege  über nachrichtendienstliche Beobachtungsmaßnahmen, Disziplinarmaßnahmen  und im Strafrecht Eingang in die Rechts- und Verfassungsordnung findet. 
          
          Der Prozeß der Uminterpretation unserer freiheitlichen  Rechtsordnung in eine totalitäre Parteienideologie ist in vollem Gange. Wer  Ziel staatsamtlicher Feindbestimmung ist, sollte sich vor dem Morgen  hüten. Die ideologischen Messer sind bereits für ihn gewetzt. Auch an verfassungsrechtlichen  Vorgaben fehlt es nicht: Nach Art. 18 GG "verwirkt" die Grundrechte der Meinungsäußerung, Pressefreiheit,  Versammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit, Brief-, Post und  Fernmeldegeheimnis, ja sogar dasjenige auf Eigentum, wer sie "zum  Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht."
        
          
            | Die Strategie der Systemüberwindung  | 
        
        Der Parteienstaat hat nur eine Sollbruchstelle. Bisher hat sie  gehalten und kann noch solange halten, wie die Bürger ihn sich gefallen lassen.  Eine Strategie der Systemüberwindung kann nur je nach Lage der Dinge, also  jetzt und hier, anhand der dargestellten Machtverhältnisse und Spielregeln  entworfen werden. Da die Machtverhältnisse, also zum Beispiel der Besitz der  Medien, keinen direkten Zugriff möglich machen, muß ein archimedischer Punkt  gefunden werden, von dem aus das allmächtige Parteiensystem aus den Angeln  gehoben werden kann. Es muß ein geistiges Samenkorn gelegt werden, das keimt,  die verfilzten Machtstrukturen durchdringt und schließlich den Deckel des  selbstreferentiellen Systems sprengt. Weil dieses nur noch seinen eigenen  Gesetzen gehorcht, eignet sich nur ein Korn, das unter Geltung dieser Gesetze  gedeiht. Wir müssen uns eines integralen Wertes der Verfassungsordnung bemächtigen  und zum Angriffsinstrument umfunktionieren. Nur dann greifen seine systemimmanenten  Abwehrmechanismen nicht. 
          
          Ein solches Korn gibt es. Wir können das demokratische  Prinzip gegen das liberale ausspielen. Die Eigenlegitimation des Systems  beruht dermaßen auf dem Demokratieprinzip, dieses ist so sehr weltanschaulich  überhöht und quasireligiös funktionalisiert worden, daß es bei Strafe gesellschaftlicher  Acht und Banns nicht in Frage gestellt werden darf. Der Forderung nach mehr  Volksabstimmungen und -entscheiden kann ohne Verstoß gegen das demokratische  Dogma nichts entgegengehalten werden. Sie sind der einzige Ausweg aus dem  geschlossenen Machtkreislauf eines auf dem strengen Repräsentationsprinzip  beruhenden Parteienstaates. 
          
          Der Parteienstaat kann nur mit einem Mittel  aufgebrochen werden, dem Plebiszit, genauer gesagt: der demokratischen  Direktwahl von Machtträgern. Diese würde der Alleinherrschaft der Parteien mit  einem Schlag das Genick brechen. 
          Daß die Apologeten und Nutznießer des Liberalismus bei der  bloßen Erwähnung des Wortes Plebiszit wütend aufheulen, zeigt uns, daß wir  hier ihren einzigen wunden Punkt getroffen haben. Hier können sie  zappeln, solange sie wollen. Sie kommen nicht ohne Verstoß gegen ihre  eigenen demokratischen Prämissen aus dem Dilemma, weil diese demokratischen  Prämissen mit denen des klassischen Liberalismus und seinem Repräsentativgedankens  in Wahrheit unvereinbar sind. Was die Verteidiger des  Status quo auch tun - sie können nur Fehler machen. Das Demokratieprinzip  als tragender, aber unverwirklichter Wert der Verfassung muß zur Angriffswaffe  umfunktioniert werden, weil die systemimmanenten Abwehrmechanismen dann  nicht greifen. Gibt das System nach und läßt  die Volksgesetzgebung zu, öffnet es damit nämlich weit das Tor zu seiner eigenen  möglichen Veränderung und Abschaffung durch das Volk. Damit wäre das taktische  Zwischenziel erreicht und die Zukunft wieder offen.
          
          Das Einfordern plebiszitärer Mitbestimmungsrechte dient  aber nicht nur dem langfristigen Ziel, das vom strengen Repräsentationsprinzip  abhängige oligarchische Parteiensystem zu unterminieren, es ist auch Teil  einer Strategie der Delegitimierung.   Einstweilen kann mit Recht auf den offenkundigen Widerspruch  zwischen der nominellen Demokratie, in Wahrheit aber einem oligarchischen  Parteienstaat sui generis, hingewiesen werden. Gibt das System aber nicht  nach, kann es als undemokratisch entlarvt werden, bis die Zahl seiner  Verteidiger so weit abnimmt, daß es dem Veränderungsdruck nicht mehr standhält.  Als Anlaß für solche Operationen eignet sich hervorragend die Forderung  nach Volksentscheid über alle jene Reizthemen, in der die demoskopisch ermittelte  Meinung einer von Lösungsinkompetenz der Politiker genervten Bevölkerung  auf den entschlossenen Widerstand des Parteienestablishments treffen  wird, das hinter dem Plebiszit schon lange die Gefahr des Systemwechsels am  Horizont erkannt hat